Ein Plädoyer für das Unternehmensleitbild – Warum es gerade heute einen Unterschied macht
Ehrlich – ein Leitbild für Unternehmen? Ist das in unserer heutigen Welt, in der uns Veränderung schneller ereilt als der nächste Kaffee, wirklich noch notwendig und sinnvoll? Welchen Zweck soll diese epische Richtlinie haben und wer, außer der Geschäftsführung, liest sich diese Absätze überhaupt durch – von „danach handeln“ ganz zu schweigen?
Diese Gedanken sind es, die uns PRler bei Zielbar motivieren, den Wert von manch „verstaubtem Überbleibsel“ der klassischen Kommunikationsarbeit hochzuhalten.
Wir sagen Ja! Ein Leitbild hat auch heute noch Bestand.
Es trägt sogar eine größere Bedeutung als noch vor einigen Jahren. Gerade die oben erwähnte ständige Veränderung macht einen solchen Orientierungspunkt für Unternehmer, Mitarbeiter und Kunden notwendig. Erfolgreiche Unternehmen bewegen sich heute nicht wie das Fähnchen im Wind, sondern machen einen Unterschied. Sie haben Substanz, stehen für Wertvorstellungen ein und haben gesellschaftlichen Impact. Das ist es, was sie in dieser Welt voller austauschbarer und vergleichbarer Produkte und Dienstleistungen von der Konkurrenz unterscheidet.
Wir bei Zielbar betonen bewusst den Wert der nachhaltigen Kommunikation in der digitalisierten Welt. Kommunikation wirkt und ist das, was Menschen bindet. Das Unternehmensleitbild setzt den Grundstein, von welchem aus die übergreifende Kommunikation betrieben wird.
Das Leitbild als subjektiver Wertemaßstab
Wann hast du dich zuletzt mit der Entwicklung eines Unternehmensleitbildes auseinandergesetzt? Zu Studienzeiten, als es darum ging, für ein fiktives Unternehmen Vision, Mission und einen Verhaltenskodex zu entwickeln, damit die fiktive Öffentlichkeit und potenziellen Mitarbeiter wissen, wofür das Unternehmen steht? Gut möglich.
Ich sage hier aus vollster Überzeugung: Vergiss den Großteil dessen, was du gelernt hast und was auf vielen Blogs (ich weiß es, ich habe für diesen Beitrag recherchiert!) diesbezüglich steht.
Nein, ich glaube nicht, dass ich die „Weisheit mit dem Löffel gefressen“ habe, aber all das Erlernte stammt aus einer Zeit, die anders war.
Die Welt und ihre Menschen ticken heute anders. Unternehmen werden heute anders geführt und Kundengewinnung bzw. -bindung findet heute auf vielen unterschiedlichen Wegen statt. An alten Strukturen und Lehren festzuhalten, finde ich nicht sinnvoll. Egal wie oft wir sie zitieren und verlinken.
Einen wichtigen Punkt möchte ich herausgreifen, der für mich persönlich damals wie heute ein Irrglaube war: Leitbilder werden nicht für „die breite Öffentlichkeit“ entwickelt. Seien wir doch ehrlich. Wen interessiert das Leitbild wirklich? Und für wen macht es wirklich einen Unterschied, ob es eines gibt oder nicht?
Eben.
Wir sind alle „kleine Egoisten“ und wollen etwas bewegen, etwas leisten. Einen Unterschied machen. Leitbilder tragen die Vision einer Unternehmerpersönlichkeit, die für ihre bzw. seine Idee Mitstreiter und Verbündete sucht. Somit sind Leitbilder immer subjektiv. Sie tragen die Werte desjenigen, der das Unternehmen gegründet hat.
Das ist gleichzeitig die größte Herausforderung bei einer nachträglichen Leitbildentwicklung für größere Unternehmen oder Vereinigungen. Ich kann ein Lied davon singen – genau darüber habe ich mir in den letzten Wochen für Zielbar den Kopf zerbrochen.
Ist es unmöglich? Nein. In Kürze wirst du dir selbst ein Bild davon machen können. Mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten. *Spoiler-Alarm*
Der externe Effekt von Leitbildern
Wenn Leitbilder subjektive Ansichten abbilden, warum haben wir dann oftmals das Gefühl, dass wir das Leitbild für andere erstellen?
Wenn die ersten Mitarbeiter kommen, Investoren gesucht werden oder Weiterentwicklungen anstehen, ist es an der Zeit, die innere Motivation aus dem eigenen Kopf auf Papier zu bringen und für andere verfügbar und nachvollziehbar zu machen. An dieser Stelle entstehen die meisten Leitbilder. Meines Erachtens nach viel zu spät, aber das ist hier nicht das Thema.
Das Leitbild soll nach außen vermitteln, was der Unternehmer und Gründer immer schon wusste und gefühlt hat. Die eigene Vision und Werte sollen andere dazu bringen, mitzuziehen und den Weg gemeinsam zu beschreiten.
An dieser Stelle passiert ein weiterer, gravierender Fehler: Das Leitbild wird als eine Art „Magnet“ verstanden, der Menschen anziehen soll. Möglichst viele Menschen – und genau das ist das Problem.
Wer viele Menschen anziehen und für sich begeistern will, muss in die Breite gehen. Die eigenen Werte und Visionen werden verflüssigt und an die Masse angepasst. Sie werden so generisch, dass sie für alle und für niemanden mehr stehen.
Das Ergebnis sind Unternehmensleitbilder und Mission Statements, die absolut austauschbar sind und somit genau das tun, was sie verhindern sollen.
Wie viele Leitbilder auf wie vielen Unternehmenswebsites habe ich bereits gesehen, die 1:1 auf jeder anderen beliebigen Website stehen könnten?
Zu viele.
Was fehlt, ist der Mut zur Einzigartigkeit, das bewusste Anderssein.
Leitbilder, die die Einzigartigkeit des Unternehmens widerspiegeln, ziehen nicht an. Sie stoßen ab und sieben aus. Und genau das ist es, was heute den entscheidenden Unterschied macht.
Sollen wir jetzt abstoßen? Was ein Leitbild wirklich leisten muss
Vielleicht war der Inhalt der letzten Zeilen irritierend, aber ich bleibe dabei: Ein gutes Leitbild filtert, wer zu mir und meinem Unternehmen passt und wer nicht.
Ob es nur eine Frage der Perspektive ist? Gut möglich, aber im Leben kommt es immer auf die Perspektive an.
Wenn es um die Entwicklung von Leitbildern geht, gibt es viele unterschiedliche Ansätze. Was richtig bzw. richtiger ist, muss jeder für sich entscheiden. Ich arbeite gerne mit dem Konzept des Golden Circle von Simon Sinek.
Sinek geht es nicht um die Entwicklung von Leitbildern. Ihm geht es um Führung, Werte und Visionen – das, was ein Leitbild ausmacht. Das Konzept des Golden Circle besagt, dass wir von innen nach außen kommunizieren sollen und im Inneren eines jeden Unternehmers und Unternehmens ein großes Warum steht.
Warum stehst du morgens auf? Warum tust du was du tust?
Die Antwort auf diese Fragen ist der wichtigste Filter, den ein Unternehmen tragen kann – und sollte.
Leitbilder beantworten die Frage, für wen ein Unternehmen da ist und für wen nicht. Diese Abgrenzung ist meiner Meinung nach das wichtigste Element eines Leitbildes.
Der Schnell-Test für dein Unternehmensleitbild
Habe ich dich mit meiner bisherigen Argumentation wachgerüttelt? Bist du unsicher und möchtest testen, ob dein Leitbild zu allgemein ist? Prima, denn das geht schneller, als du glaubst.
Es gibt zwei Möglichkeiten, das eigene Unternehmensleitbild auf seine Filterqualitäten zu testen.
- Nimm den Namen deines Unternehmens aus deinem Leitbild. Zeige es Mitarbeitern, Branchenkollegen und wenn du willst auch deiner Mutter. Stelle die entscheidende Frage: Welches Unternehmen erkennst du darin?
Keine Sorge, es gibt keine fixe Anzahl an Rate-Versuchen. Die Antworten sollten dir kritische Schwachstellen aufzeigen. Du kannst den Test auch selbst machen: Würdest du dein Unternehmen nahezu eindeutig in der Beschreibung erkennen oder könnte es auch auf das Unternehmen nebenan passen? - Möglichkeit zwei ist, dein Leitbild ins Gegenteil zu kehren. Verneine, was geht und drehe jede Äußerung ins Gegenteil. Wie liest es sich? Verstoßen die Aussagen gegen den gesunden Menschenverstand oder allgemein gesellschaftlich anerkannte Werte? Falls ja, dann taugt dein Leitbild nicht viel. Sorry!
Sind die formulierten Gegenteile jedoch plausibel, nur eben für dich und dein Unternehmen nicht geeignet, dann hast du gute Arbeit geleistet.
Bevor du an dieser Stelle verzweifelst, habe ich noch eine wichtige Info für dich: Das „perfekte“ Leitbild nach obigem Schnelltest gibt es nicht.
Es wird immer Textpassagen, Werte und Begrifflichkeiten geben, die auch für andere Unternehmen passen. Je größer das Unternehmen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Leitbild in die Breite geht. Es muss aber nicht so sein und du solltest diese Tatsache auf keinen Fall als Ausrede nutzen.
Nach all dieser abstrakten Theorie kommt jetzt ein Beispiel für ein „großes Warum“, das klar filtert und gleichzeitig genug Raum lässt:
Wir möchten Menschen in jeder Umgebung inspirieren und fördern – Tasse für Tasse, Kaffeetrinker für Kaffeetrinker.
Hast du es erkannt? Es ist Starbucks.
Ich persönlich gehe nicht zu Starbucks. Dieser Kaffee und sein Leitbild ziehen mich nicht an, sie filtern mich heraus. Ich habe zwar gehört, dass Starbucks‘ Kaffeehäuser in den Staaten eine andere Atmosphäre versprühen, dennoch ist die Wiener Kaffeehauskultur eine ganz andere. Dieser fühle ich mich stark verbunden, es liegt ein anderes Warum dahinter.
Kaffee ist eben nicht gleich Kaffee, und Leitbilder sollten mindestens genauso viel Einzigartigkeit aufweisen.
Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY
Liebe Ivana,
du bringt es laserdirekt auf den Punkt. Ich hatte neulich den Fall, dass ein Kunde aus dem Gesundheitssektor eine Unternehmensphilosophie einer Internetagentur kopieren wollte. Die geschwurbelte Vorlage war so vage, dass sie auch prima zu einem Automobilzulieferer oder einem Kleingärtnerverein gepasst hätte.
Ich verstehe nicht, warum Unternehmen so verängstigt kommunizieren. Nur niemandem auf die Füße treten. Was soll die Welt von mir denken? Ehrliche Sympathie bekommt nur, wer Stellung bezieht und es nicht allen Recht machen will.
Es grüßt und winkt
Daniela
Liebe Daniela,
genau so ist es. Danke, dass du deine Erfahrungen mit uns teilst!
Mut in der Kommunikation würde uns allen so richtig gut tun. :)
Liebe Grüße
Ivana
Liebe Ivana,
vielen Dank für den inspirierenden Beitrag! In einer Welt voller Austauschbarkeit brauchen wir wieder Menschen & Unternehmen mit „Charakter“ . Die große Sehnsucht der Menschen danach zeigt sich in der Politik: erfolgreich waren in letzter Zeit v.a. diejenigen mit „Ecken und Kanten“: etwa Macron in Frankreich aber auch Trump in den USA.
Eine Frage habe ich: Du schreibst von „unterschiedlichen Ansätzen“ für die Entwicklung von Leitbildern und nennst als Beispiel das Konzept des Golden Circle von Sinek. Könntest Du weitere Beispiele nennen?
Vielen Dank und beste Grüße nach Österreich.
Christina Arndt
Liebe Christina,
schön, dass der Beitrag dich inspiriert hat. Du hast es genau richtig gesagt: Charakter und Ecken und Kanten. :)
Du findest in vielen Strategie- und Konzeptionsbüchern im Bereich PR Abschnitte zur Entwicklung von Mission Statements und Leitbildern. Das für dich passende Modell kannst du aber nur durchs Ausprobieren finden.
Soll es ausschließlich auf Leitbilder bezogen sein, dann blätter dich durch „Vision-Mission-Werte“ (Dagmar Werther, Hrsg.) und „Partizipative Leitbildentwicklung“ (Stefan Klaußner).
Natürlich gibt es noch andere Ressourcen, aber für einen Start, liegst du damit sicher gut.
Liebe Grüße
Ivana
Hey Ivana,
der Vergleich vom Starbucks Coffee2go mit einem Wiener Kaffeehaus gefällt mir gut. Ich persönlich sitze auch lieber mit Zeit und Genuss in einem Cafe als dass ich mit dem Pappbecher durch die Gegend flitze.
Jedoch kommt es auch immer auf die Betrachtung und Priorisierung an – viele Unternehmen und Menschen haben gar kein Interesse oder kein Verständnis an/für Werte oder Leitbilder. Oder nehmen sich einfach nicht ausreichend Zeit für die Ausarbeitung ihrer Leitbilder.
Wem der Kaffee im Pappbecher reicht….
Grüße,
Michaela
Liebe Michaela,
ja, das Verständnis fehlt bei einigen (vielen?) noch, aber es wird schon, da bin ich mir sicher. Dieses Bewusstsein wird langsam wachsen, wenn Unternehmen zunehmend merken, dass sie austauschbar werden. Spätestens an diesem Punkt ist das Warum entscheidend.
Ganz liebe Grüße,
Ivana