Wie steht’s um Native Advertising im Online-Marketing? Eine kritische Bestandsaufnahme plus Ausblick [Remastered]

Wie steht’s um Native Advertising im Online-Marketing? Kritische Bestandsaufnahme plus Ausblick

„Werbung nervt.“ Seit Jahren hören wir das von vielen verschiedenen Seiten. Das war im Oktober 2015 so, als die Originalversion dieses Beitrages erschien (s. u.), und es ist auch heute, zwei Jahre später, noch immer gültig. Damals überstürzten sich die Meldungen zur Ad-Blocker-Sperre auf Bild.de. Heute haben wir uns mit diesem Phänomen – nicht nur bei der Bild – abgefunden. Das Leben geht weiter, Online-Werbung entwickelt sich.

Wirklich?

Entwickeln sich Online-Werbeformate tatsächlich weiter oder lernen wir als User mit ihnen (anders) umzugehen? Wenn ich mir die neu aufflammenden Diskussionen zum Thema „Native Advertising“ ansehe, würde ich sagen, wir treten nach wie vor auf der Stelle. Wie noch vor zwei Jahren.

Die Zeit ist somit reif, den Staub von meinem nun schon etwas in die Jahre gekommenen Artikel zu wischen und gezielt nachzufragen: Welche Rolle wird Native Advertising zukünftig im Online-Marketing spielen? Dazu habe ich unter anderem die beiden Experten Johannes Ceh und Coskun Tuna befragt.

Was ist Native Advertising?

Dieselbe Frage habe ich bereits 2015 gestellt. Schon damals war die Antwort klar. Trotzdem diskutieren, argumentieren und vertauschen viele Verantwortliche einige benachbarte Begrifflichkeiten. Daher hier eine kurze Auffrischung:

Das Interactive Advertising Bureau (IAB) hat in seinem The Native Advertising Playbook den Begriff „Native Advertising“ auf folgende Weise definiert:

Native Advertising ist eine bezahlte Form der Medienplatzierung/Content Distribution (auf Medien, die nicht dem Unternehmen gehören), um informative, beratende oder unterhaltsame Inhalte an eine vorab definierte Zielgruppe zu kommunizieren. Der große Unterschied zur klassischen Werbeeinschaltung ist, dass das Userverhalten nicht gestört wird und der Inhalt des Absenders im Look and Feel des Trägermediums platziert wird. Im Vordergrund steht dabei der nutzenstiftende Inhalt und dass die User Experience nicht gestört wird. Durch den Mehrwert und sorgsame Platzierung steigt die Wirkung der Kommunikation. Native Advertising ist der Überbegriff für die Werbung, die sich in das Umfeld und in den Nutzungsfluss des Publikums einfügt.

Neben dem nativen Erscheinungsbild, das die User nicht stören soll, ist eine klare Kennzeichnung als Werbung ebenso wichtig und notwendig. Diese Offenlegung muss

  • sich einer Sprache bedienen, die eindeutig klärt, dass es sich dabei um eine bezahlte Anzeige, also eine Schaltung gegen Bezahlung handelt.
  • ausreichend groß und sichtbar sein, damit Besucher sie auf der Seite, unabhängig des genutzten Geräts, erkennen können.

Kurz gesagt: Unabhängig vom Kontext sollte ein aufmerksamer User in der Lage sein, zwischen einer bezahlten Werbeanzeige und dem redaktionellen Inhalt der besuchten Website zu unterscheiden.

Native Ads sind demnach Werbeformate, die sich an jenes Portal, auf dem sie geschaltet werden, anpassen. Somit zählen laut IAB bezahlte Suchmaschinenergebnisse (SEA) genauso zu dieser Gruppe wie die oft als Synonym verwendeten „Sponsored Posts“ oder „Advertorials“.

Einen anderen Definitionsversuch veröffentlichte der Native-Ads-Experte und Geschäftsführer der Seeding Alliance GmbH Coskun Tuna 2015 auf dem Blog von linkbird:

Native Advertising ist die automatisierte und skalierbare Distribution von werblich gekennzeichnetem Content, der individualisiert in Form, Funktion und Optik in themen- und zielgruppenrelevanten Publikationen den Rezipienten erreicht, teilbar in sozialen Netzwerken ist und detailliertes Monitoring ermöglicht.

Dabei betont Tuna, dass es sich hierbei um eine derzeitige Definition von Native Advertising handelt und dass die Zukunft noch viele Veränderungen hervorbringen wird.

Zur aktuelle Lage der nativen Werbeformate meint er: „Die Bedeutung von Native Advertising wächst von Jahr zu Jahr weiter, auch wenn es nicht mehr so offensiv als Trend oder Hype in der Online-Marketing-Branche wahrgenommen wird. Was ich persönlich auch gut so finde. Denn damit gelingt es uns und der Branche, das neue Werbeformat solide und konzentriert weiterzuentwickeln.“

Mehr Insights zu Entwicklungen, Trends und Herausforderungen aus der Perspektive von Coskun Tuna findest du im weiteren Verlauf dieses Artikels in Form eines Mini-Interviews.

Advertorials und Sponsored Content als Native-Ads-Formate

Advertorials? Sind das nicht redaktionell anmutende Artikel, die aus den PR-Abteilungen von Unternehmen kommen und in Print-Medien veröffentlicht werden? Ja, das sind sie auch. Das ist quasi die analoge Ur-Form der Native Ads. Und ja, an diesem Punkt überschneiden sich die Arbeitsbereiche von Public Relations und Marketing bereits, wie nahezu überall im Social Web.

Advertorials sind aber auch online häufig anzutreffen, nur nennen wir sie hier meist „Sponsored Post/Content“. Die Funktion dieser Inhalte entspricht dem analogen Advertorial: Es sind bezahlte Inhalte, die exklusiv für einen Publisher und ein Medium erstellt werden. Für den User bedeutet Sponsored Content, dass er auf der derzeitigen Plattform bleibt und somit kein Medienbruch entsteht.

Für Werber sind gesponserte Inhalte besonders deshalb interessant, weil der Inhalt den Vertrauensvorschuss des Lesers genießt, insofern das Vertrauen zum publizierenden Medium bereits vorhanden ist. Für den Publisher bedeutet das wiederum, weise auszuwählen, welche Werber er mit welchen Inhalten auf seiner Plattform zulässt.

Advertorial-Inhalte werden immer exklusiv für ein Medium erstellt. Handelt es sich dabei um die Online-Version, so wird diese in das CMS der Website eingepflegt und auch von Suchmaschinen indexiert. Advertorials haben eine feste Laufzeit (in Printmedien meist eine einzige Ausgabe) und werden „pro Stück“ abgerechnet.

Im Gegensatz zum Sponsored Content funktioniert der automatisierte Vertrieb von Natives Ads auf folgende Weise: Sowohl die Auslieferung der Werbeinhalte als auch ihre Anpassung und Veröffentlichung erfolgen mithilfe eines integrierten Scripts und im Rahmen von größeren Kampagnen. Der Werbekunde kann wählen, wo seine Inhalte veröffentlicht werden sollen, und der Publisher hat wiederum die Möglichkeit, Inhalte anzunehmen oder abzulehnen, teilweise sogar zu editieren. Solche Native-Advertising-Kampagnen werden nicht von Suchmaschinen indiziert und stellen somit keinen Duplicate Content dar.

Auch die Ziele und Erfolgsmessung, die mit klassischen Native Ads bzw. Sponsored Content verfolgt werden, unterscheiden sich häufig. Im ersten Fall schauen Werber und Publisher auf Impressions, Klicks und Conversions, während im zweiten Fall eher „weichere“ Ziele, in Anlehnung an die Öffentlichkeitsarbeit (z. B. Vertrauensbildung, Markenaufbau, Image), im Fokus stehen.

Was Content-Marketing mit Native Advertising zu tun hat

Native Advertising, in Form von bezahlten Artikeln, wird manchmal als eine Art Content-Marketing verstanden, wie es in diesem Beitrag der styria content creation thematisiert wird. Eines sollte allen Verantwortlichen jedoch klar sein: Content-Marketing und Native Advertising sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das sagen nicht nur wir, sondern auch einer der Väter des Content-Marketing, Joe Pulizzi.

Aber warum ist das so? Warum fallen Native Ads nicht automatisch in den Bereich Content-Marketing bzw. welche gemeinsame Schnittmenge haben diese zwei Ansätze?

Content-Marketing legt bei der Veröffentlichung relevanter Inhalte seinen Schwerpunkt auf Owned-Media-Kanäle. Im Rahmen einer Content-Marketing-Strategie können native Werbeformate für die Distribution der eigenen Inhalte herangezogen werden. So wird das Thema „Sponsored Content“ mittlerweile auch im BVDW-Whitepaper „Neue Formen im Content-Marketing (PDF)“ von 2017 sehr prominent behandelt.

Auch Earned Media kann und soll im Rahmen einer Content-Marketing-Strategie mitgedacht werden. Wenn Inhalte etwa von Dritten durch automatisierte Newsletter – wie bei Nuzzel – kuratiert werden oder es in die mediale Berichterstattung schaffen. Native Advertising hingegen bezieht sich ausschließlich auf das Veröffentlichen von Online-Inhalten auf Paid-Media-Kanälen. Eine Schnittmenge zwischen Native Advertising und Content-Marketing ist demnach gegeben, identisch sind sie aber sicherlich nicht.

Native Advertising 2018: Zwei Fragen an Johannes Ceh

Johannes Ceh war als Content and Digital Strategist für führende Marken tätig, darunter Sport1, Sky, Springer & Jacoby, Jung von Matt, BMW, Mercedes Benz, Ogilvy und HAVAS. Heute konzentriert er sich auf die Schnittstelle zwischen Customer Experience, digitaler Kultur und Organisationsentwicklung.

Zielbar: Welche Rolle wird deiner Meinung nach Native Advertising 2018 im Online-Marketing spielen?

Johannes Ceh: Erkennbar ist, dass immer mehr Publisher und Marketer mit Native experimentieren. Experimentierfreude ist wichtig, sollte jedoch nicht dabei enden, die Inhalte eines Produktkataloges als Advertorial einzubinden und sich zu wundern, warum dies nicht funktioniert. Mit Native sind Marken zu Gast in der Lebenswelt der Leser eines Publishers. Dies bietet die Möglichkeit, per Top-Funnel echte Mehrwerte für den Leser zu liefern und mit einer Compliments-Card-Beziehung aufzubauen. Eine Art der Kommunikation, die eines gewissen Fingerspitzengefühls bei Publishern und Marketern bedarf und deren Nicht-Beachten schnell die Spreu vom Weizen trennt, wenn Leser diese Inhalte nicht als Mehrwerte, sondern als Spam identifizieren.

Die aktuell rasant steigende Anzahl an Distributionsplattformen ermöglicht es, Native skalierbar zu machen. Unternehmen, welche sich ernsthaft mit Content-Strategie und -Distribution betreiben, kommen an einer Auseinandersetzung mit Native nicht mehr vorbei.

Zielbar: Worin siehst du derzeit die größte Hürde bzw. Herausforderung beim Einsatz von Native Advertising – einerseits für Publisher, andererseits für Werber?

Johannes Ceh: Die größten Hürden beim Einsatz von Native sind Vorurteile und Verbissenheit. Ein Content-Marketer maulte mich vor wenigen Tagen an „Geh mir weg mit Native. Das ist doch eh nur Werbung!“ Zwei Minuten später brüstete er sich stolz, wie erfolgreich seine Anzeigen auf Facebook laufen, ohne sich bewusst zu sein, dass er mit diesen Anzeigen bereits Native umsetzt.

Der Namensbestandteil „Advertising“ erschien in der Vergangenheit einigen „potenziellen Interessenten“ wohl bereits Grund genug, sich grundsätzlich gar nicht mit den Möglichkeiten von Native auseinanderzusetzen. Oftmals scheitert eine Auseinandersetzung auch daran, dass die Art der Kennzeichnung von Native immer wieder zu Diskussionen führt. Eine Kennzeichnung ist und bleibt Pflicht, doch wie diese zeitgemäß ausgeführt wird, ist eine Frage von Rechtsabteilungen und kein Grund, als Marketer oder Publisher generell kein Native umzusetzen.

Für Publisher kann Native ein Ertragsmodell der Zukunft sein, hier braucht es jedoch das Bewusstsein, dass Native eine Spezialdisziplin ist, für welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Es braucht den Mut, ein Investment in die eigene Zukunft als Publisher zu tätigen und aus Banner- und Anzeigendenken auszusteigen.


Johannes Ceh beim Native Ads Camp 2017

Native Advertising im Einsatz

Jetzt, wo wir eine aktuelle Definition und zwei wichtige Abgrenzungen vorgenommen haben, werfen wir einen Blick auf die derzeitige Umsetzung von Native Ads und einige Studien.

Das wohl bekannteste Erfolgsbeispiel von Native Advertising ist mit Sicherheit Buzzfeed. Das US-amerikanische Nachrichtenportal hat quasi als „Pausenfüller“ bzw. „Arbeitszeit-Strecker“ für gelangweilte Büroarbeiter begonnen, deren Fokus eindeutig bei Boulevard-Themen und „leichter Kost“ lag. Heute beschäftigt Buzzfeed jedoch mehrere Journalisten, die über ernste und wichtigere Themen berichten. Trotzdem muss festgehalten werden, dass der massive Traffic, den Buzzfeed genießt, aufgrund der ersten Gruppe entsteht.

Genau diese Reichweite nutzt das Portal, um mit Hilfe von Kooperationen lukratives Native Advertising zu betreiben. Buzzfeed hat sich dadurch zu einer Mischform aus News- und Werbeportal entwickelt.

Auch andere Portale haben diese „native Finanzierungsquelle“ für sich entdeckt, z. B. die Huffington Post, Forbes und die New York Times. Jedoch ist der Trend zu Native Ads längst auch im deutschsprachigen Raum angekommen. Auch hier wollen Werber mehr Reichweite und Views (abseits von ausgeblendeten Bannern) und Verlage ihre Finanzen aufbessern.

Einige Beispiele mehr gefällig? Gerne doch!

„Working Better“ lautet der Titel des Sponsored Content von Xerox auf der Website Atlantic. Eine interaktive Microsite geht der Frage nach, wie Unternehmen produktiver, effektiver und einheitlicher agieren können. Zu den drei Schwerpunktthemen „Alignment – Productivity – Agility“ finden sich zehn Kacheln, hinter denen sich Empfehlungen und Tipps verbergen. Besonders positiv bei diesem Beispiel: der praxisbezogene Content-Schwerpunkt.

Auch ein schönes Beispiel aus Österreich möchte ich noch zeigen. Die Tageszeitung Die Presse geht mit Weber Grill neue, kulinarische Wege. Von Basis-Grill-Wissen, über Rezeptideen bis hin zu Grillen im Winter, schlägt hier jedes feurige Herz höher. Auch das sind native Werbeformate.

Funktioniert Native Advertising?

Alles schön und gut, aber funktioniert das auch? Was sagen die Zahlen zu Native Advertising?

Burda Forward fasst mit der Studie „Best of Native Advertising“ (PDF) die Ergebnisse aller internen Native-Advertising-Kampagnen zusammen, die 2015 und 2016 im Rahmen von 22 Studien gesammelt wurden. Mehr als 20 Werbetreibende aus verschiedenen Branchen wurden dabei berücksichtigt, wodurch erstmals Benchmark-Werte für die Wirkung von Native Advertising in einzelnen Branchen genannt werden konnten.

Hier einige der wichtigsten Erkenntnisse:

  • Durch Native Advertising wird die Bekanntheit der Marke um rund 32,9 Prozent gesteigert.
  • Dank Native Advertising werden Marken sympathischer wahrgenommen (+15,6 Prozent).
  • Native Advertising animiert zum Kauf, was sich in einer Steigerung der Kaufbereitschaft um durchschnittlich 49,7 Prozent zeigt.

Eine Mitte vergangenen Jahres veröffentlichte Studie der Universität Georgia, San Diego State University und der Syracuse University, fand heraus, dass Konsumenten Native Advertising immer mehr akzeptieren. Und dies besonders dann, wenn die Ads von Unternehmen gesponsert werden, zu denen Konsumenten bereits eine starke Bindung haben oder wenn die Werbeeinschaltung Inhalte bietet, die wirklich nutzwertig sind.

Bei den zitierten Studien aus meinen ursprünglichen Beitrag von 2015 sah es noch ganz anders aus. Kurz zur Erinnerung: Der Contently-Umfrage aus dem Jahr 2014 zufolge

  • fühlten sich zwei Drittel der Leser hintergangen, als sie gemerkt haben, dass es sich bei einem Artikel oder Video um eine Native Ad handelte,
  • trauten 54 Prozent der Leser bezahlten Inhalten nicht,
  • glaubten 59 Prozent der Leser, dass eine Nachrichtenseite an Glaubwürdigkeit verliert, wenn diese bezahlte Inhalte publiziert,
  • wusste nur ein Bruchteil der Leser, was genau unter „Sponsored Content“ zu verstehen ist.

Die Gegenüberstellung dieser Zahlen zeugt von einem eindeutigen Wandel in der Wahrnehmung nativer Werbeformate. Und der Ausblick für die Zukunft? Da deutet sich weiteres starkes Wachstum an, wenn wir einer Studie von Facebook und IHS aus dem Jahr 2016 Glauben schenken. So soll native, mobile Werbung 2020 das Zugpferd der digitalen Werbewirtschaft werden. Die ausführlichen Studienergebnisse gibt es hier als PDF. 

In diesem Zusammenhang höchst interessant finde ich den Vergleich zwischen nativen Werbeformaten und Social Ads. Plista hat gemeinsam mit Eye Square GmbH eine Online-Befragung durchgeführt, um die Bedeutung von Native Ads im Online-Marketing zu testen. Dabei wurde verglichen, wie Social Ads (hier: Werbung im Facebook-Netzwerk) im Vergleich zu Native Ads auf News-Seiten rezipiert werden.

Nicht wirklich überraschend ist es, dass Native und Social Advertising grundsätzlich anders wirken und angenommen werden. Während native Werbeformate auf News-Portalen mehr Aufmerksamkeit generieren und eine größere Wirkung entfalten, erreichen Social Ads mehr Reichweite. Auch hier zeigt sich wieder, dass ein ausgewogener Mix im Online-Marketing, mit klarer Zieldefinition und sehr guten Kenntnissen über die eigene Zielgruppe, zu den besten Ergebnissen bei Online-Marketing-Kampagnen führt.

Native Advertising wirkt also. Das ist definitiv eine gute Nachricht für Publisher und Werbetreibende. Aber woher kommt dieser fahle Beigeschmack, den viele User häufig haben?

Native Advertising 2018: Zwei Fragen an Coskun Tuna

Coskun Tuna ist seit 1999 Online-Unternehmer und verlagerte 2007 seinen Schwerpunkt auf die Vermarktung von Werbeformaten im Content-Marketing, bis er 2011 Co-Founder und Geschäftsführer der Seeding Alliance GmbH wurde, dem größten Entwickler und Vermarkter von Native Advertising in Deutschland.

Mit einem eigens entwickelten Adserver für native Werbeformen erreicht das Unternehmen aktuell eine monatliche Reichweite von 68 Mio. Unique Usern (Stand Juli 2017). Im März 2017 hat sich Ströer die Mehrheit an Seeding Alliance gesichert.

Zielbar: Welche Rolle wird deiner Meinung nach Native Advertising 2018 im Online-Marketing spielen?

Coskun Tuna: Die für uns im nächsten Jahr in Aussicht gestellten Spendings lassen erneut darauf schließen, dass es ein gutes Wachstumsjahr für Native Advertising wird. Vor allem wird die positive Entwicklung nicht mehr nur durch Ad-Blocker, sinkende Klickraten auf Display Formate und die vermehrten Surfgewohnheiten auf mobilen Devices befeuert. Die ePrivacy-Thematik verunsichert viele Werbungtreibende und Vermarkter, die systembedingt davon betroffen sind und sich daher jetzt schon damit beschäftigen, Budgets anderweitig zu verplanen, damit sie nicht im Laufe des Jahres aus ihren Marketingkonzepten geworfen werden. Native Advertising rückt dadurch noch weiter in den Fokus der Werber und Publisher. Und mit einem Erfahrungsschatz von etwas mehr als drei Jahren im Native Advertising gibt es mittlerweile ein gutes Fundament, auf dem aufgebaut werden kann.

Zielbar: Worin siehst du derzeit die größte Hürde bzw. Herausforderung beim Einsatz von Native Advertising – einerseits für Publisher, andererseits für Werber?

Coskun Tuna: Besonders große Hürden sehe ich bei den Publishern. Sie sind einem enormen Druck ausgesetzt, sich ohne Pausen ständig neuen Marktbedingungen anpassen zu müssen, die von anderen diktiert werden. Die Palette an Herausforderungen ist sehr lang. Publisher zu sein ist wirklich keine leichte Aufgabe mehr.

Die entscheidende Aufgabe für Publisher ist, neben diesen großen Baustellen trotzdem noch zu erkennen, dass Native Advertising mittlerweile ein beachtlicher Umsatzanteil mit großem Potenzial nach oben ist, obwohl sie nach wie vor an dem großen Tropf der Display-Erlöse hängen. Viele Verlage tasten sich noch sehr zaghaft an Native Advertising heran und rollen es nur langsam aus. Das liegt unter anderem daran, dass in der Regel die Teams der digitalen Units bei den meisten Verlagen recht klein sind und die zuvor genannte Vielfalt und Größe der Herausforderungen einen Overload an Arbeit bedeutet. Aber wenn Verlage eines können, dann schwierige Zeiten meistern und einen Ausweg finden.

Bei den Werbern gibt es aber auch Hürden, die es zu meistern gilt. Auch sie klammern sich nach wie vor an Display-Formate. Ich begegne bei den angelieferten Kampagnen oft Werbemitteln, die einfach nur eins zu eins aus Display-Kampagnen rübergeschoben werden und dann als Native eingebucht werden sollen. Das funktioniert meistens nicht wirklich. Hier gibt es noch eine Menge zu lernen und zu verändern. Es bedarf eines Wandels im Verständnis für Werbung, aber es wird noch ein ganzes Stück Zeit kosten, bis Native Advertising zu einer voll professionellen eigenen Disziplin wird.

Ethische Fragen bei Native Advertising

Ein Vorwurf, mit dem Native Advertising immer wieder konfrontiert wird, ist der der Schleichwerbung. Darunter sind werbliche Inhalte [sic!] zu verstehen, die in ihrer Aufmachung nicht als solche erkennbar sind und auch nicht als solche deklariert sind. Dies verstößt u. a. gegen § 5a Abs. 6 UWG. Klar ist damit: Auch native Werbeeinschaltungen müssen immer ein Disclosure, eine Offenlegung, einen Hinweis auf eine bezahlte Einschaltung enthalten. Ist dies erfüllt, so handelt es sich nicht um Schleichwerbung. Woher kommen also diese Vorwürfe?

Während Werber und ein Teil der Verlage das Format der Native Ads als „Service am User“ sehen, hat ein Teil der Nutzer Probleme mit der Kennzeichnung und einer allzu starken Anpassung an das publizierende Portal. Es sei nicht auf Anhieb und auch nicht für jeden erkenntlich, dass es sich hierbei um Werbung handelt, heißt es dann oft. Darüber hinaus sind einige Verlage sehr erfinderisch, was die Bezeichnung der Ads angeht, indem Sie versuchen, die Begriffe „Werbung“ und „Anzeige“ zu umschiffen. Allerdings gehen heute mehr und mehr Publisher dazu über, Native Ads und Sponsored Content unmissverständlich – sprich: im Wortlaut – als werbliche Formate auszuweisen.

Im oben erwähnten Native Advertising Playbook des IAB heißt es in Bezug auf das Disclosure, dass ein „reasonable customer“ den Unterschied zwischen redaktionellem Eintrag und Sponsored Content unterscheiden können muss. Aber was ist ein „reasonable customer“ und warum nutzen manche Werbetreibende Begriffe, die außerhalb unserer Online-Marketing-Blase wenig bekannt sind?

Egal, wie die Antwort auf diese Fragen lauten mag, eine bewusste Irreführung ist ethisch absolut inakzeptabel.

Wer Native Advertising für sein Unternehmen nutzen will, sollte sich vorab ausführlich mit dem geltenden Recht auseinandersetzen. Die auf digitale Themen spezialisierte Rechtsanwältin Nina Diercks hat bereits 2015 im UPLOAD Magazin die streng formulierte Gesetzeslage rund um Schleichwerbung, bezahlte Anzeigen und Blog-Kooperationen beschrieben.

Auf allfacebook.de findet sich zudem ein ausführliches Whitepaper von Rechtsanwalt Thomas Schwenke zu den Risiken von Schleichwerbung. Die Zeit hat sich im August dieses Jahres dem Thema Schleichwerbung auf Instagram gewidmet und kommt zu folgendem Fazit: „[…] langfristig nutzt mehr Regulierung allen: Den Influencern verhilft sie zu mehr Glaubwürdigkeit. Ehrliche Unternehmen brauchen nicht mehr zu fürchten, dass Wettbewerber sich mit Schleichwerbung Vorteile verschaffen. Die Nutzer können leichter erkennen, welche Beiträge ihrer Vorbilder tatsächlich persönlicher Natur sind und welche sie in erster Linie zum Geldausgeben verleiten sollen. Und Instagram wäre endlich das nette Netzwerk, das es bisher nur vorgibt zu sein.“

Es ist aber nicht ausschließlich der Vorwurf der Schleichwerbung, mit dem Native Advertising zu kämpfen hat. Oft – und leider auch zu Recht – wird die Qualität des veröffentlichten Sponsored Content bemängelt. Eine krachlederne Kritik erfolgte erst kürzlich von Seiten des NEO MAGAZIN ROYALE mit Jan Böhmermann. Dieser zog im Oktober 2017 das Online-Magazin bento dermaßen durch den Kakao, dass wohl kein Auge trocken blieb. Dennoch, trotz all der Ironie, die Kritik ist absolut berechtigt.

Mit dem steigenden Einsatz von Native Advertising kommt notgedrungen auch eine steigende Zahl an schlecht gemachten Inhalten. Schade, aber im Grunde kennen wir dieses Phänomen bereits. Egal ob Content-Marketing oder Social-Media-Inhalte – nutzlose Inhalte gibt es leider zuhauf. Langfristig wird sicher auch hier die Spreu vom Weizen trennen und Content mit Qualität durchsetzen.

Zukunftsperspektiven von Native Ads

Meinungen und Standpunkte zu Native Advertising gibt es viele. Durch die Aufarbeitung dieses Artikels bin ich mir selbst über meinen veränderten Standpunkt klar geworden. Während ich 2015 der Argumentation des MEEDIA-Redakteurs Stefan Winterbauer, Native Advertising sei eine Bankrotterklärung der Werbebranche, noch einiges abgewinnen konnte, blicke ich 2017 aus einer anderen Perspektive auf das gesamte Thema. Dennoch bin ich auch heute noch der Meinung, dass wir aktiv an der Weiterentwicklung und Verbesserung nativer Werbeformate arbeiten sollten.

Und was sagt Winterbauer heute? Hat sich seine Meinung diesbezüglich geändert? Ich habe nachgefragt und das war seine Antwort:

„‚Digitale Bankrotterklärung‘ ist natürlich ziemlich zugespitzt, aber ich sehe Native Advertising durchaus immer noch kritisch. Prinzipiell wäre gegen Native Advertising aus meiner Sicht nichts einzuwenden, wenn solche Formate tatsächlich sehr deutlich und für Leser transparent als bezahlte Werbeformate kenntlich gemacht werden würden. In der Praxis ist das aber fast nie der Fall. Meistens gibt es nur relativ versteckte ‚Sponsored Post‘-Hinweise. Ich habe den Eindruck, dass die Verwechslung mit redaktionellen Inhalten hier bewusst in Kauf genommen und eventuell sogar als Verkaufsargument genutzt wird. Das schadet der Glaubwürdigkeit des Mediums mittel- bis langfristig.“

Seine Haltung ist weiterhin kritisch, und auch die versprochenen bzw. erhofften Erfolge beurteilt er eher zurückhaltend: „Ein Medium wie Buzzfeed, das stark auf Native Advertising setzt, hat jüngst bekanntgegeben, dass es seine Umsatzziele für 2017 um 15 bis 20 Prozent verfehlen wird. Mal wieder. Ich könnte mir gut vorstellen, dass dies auch damit zusammenhängt, dass Umsätze mit Native Advertising schnell an eine Wachstumsgrenze stoßen.“

Winterbauer kommt zu folgendem Ergebnis: „Die Akzeptanz von Native Advertising scheint mir aber trotz solcher Bedenken nach wie vor hoch zu sein. Ich fürchte, das liegt zu einem großen Teil aber an einer gewissen Verzweiflung. Digitale-Werbeumsätze fließen immer stärker den großen Plattformen wie Facebook und Google zu, und den Medienhäusern fällt schlicht nichts anderes ein.“

Mehr Kreativität und Haltung, bitteschön!

Welches Fazit können wir Ende 2017 also zu Native Advertising ziehen? Nun, diese Form der Online-Werbung ist gekommen, um zu bleiben, so viel scheint festzustehen. Wie viele andere digitale Marketing- und Kommunikationsformate hat auch Native Advertising mit diversen „Kinderkrankheiten“ zu kämpfen, bis es sich langfristig zu einer allgemein anerkannten Disziplin entwickelt, die ihre Normen, Werte und Grenzen hat. Bis es soweit ist, werden wir bei Zielbar die Entwicklungen neu- und wissbegierig begleiten. Was wir uns aber bereits jetzt von den Verantwortlichen wünschen, ist mehr Kreativität in der Umsetzung und einen klaren Standpunkt gegenüber kritischen Stimmen.

Anmerkung: Dies ist eine im Rahmen unserer Remastered-Reihe überarbeitete und aktualisierte Version eines ursprünglich im Herbst 2015 erschienenen Beitrags. (Wien, November 2017)

Wie steht’s um Native Advertising im Online-Marketing? Kritische Bestandsaufnahme plus Ausblick
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Ivana Walden

Ivana Walden

Ivana Walden beschäftigt sich mit der Frage, wie Kommunikation auf den Unternehmenserfolg wirkt und wie Unternehmen und Selbstständige diese Wirkung effizient und effektiv für sich nutzen können. Sie verhilft Unternehmen zu schlanken Kommunikationsstrategien und klaren Leitlinien. "So bleibt mehr Zeit für das wirklich Wichtige: die Menschen."

5 Reaktionen zu “Wie steht’s um Native Advertising im Online-Marketing? Kritische Bestandsaufnahme plus Ausblick”

  1. Johannes Ceh

    Laut Chad Pollitt ist Facebook Native. Ich will hier überhaupt nicht Richter bzw. finaler Einordner sein. Bez. Plattformen einzuordnen sind Chad Pollitt, Coskun, Andre Alpar, Ingo Kahnt viel geübter im Blick! Ich hätte bei meinem Beispiel genau so gut benennen können, das das genannte Gegenüber diesen Artikel als Mega Klasse fand, aber nicht wahrhaben wollte, dass dieser Native ist: https://paidpost.nytimes.com/netflix/women-inmates-separate-but-not-equal.html Worum es mir geht: Viele wissen gar nicht was Native generell ist. Und wollen sich auch nicht damit auseinandersetzen. Warum?

    Antworten
  2. Coskun Josh Tuna

    Wir müssen nicht alles, was der IAB von sich gibt, auch annehmen. Laut deren Definition darf sich sogut wie fast jedes Werbeformat ab sofort als Native Advertising bezeichnen. Verständlich, weil die bisherige Art und Weise der Online Werbung den User vergrault hat und relevante Player versuchen sich unter dem Schirm Native Advertising in Schutz begeben. Suchmaschinenwerbung (SEA) ist und bleibt Suchmaschinenwerbung. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal sollte darin bestehen zu unterteilen, ob es sich um ein redaktionelles Medium mit eigenen Inhalten handelt oder nicht. Werbung in Medien, die keine eigenen Inhalte (im Wesentlichen Artikel, Videos u. Audios) erzeugen, diese nur aggregieren oder von Dritten in einem schnelldrehenden Stream (Social Networks) „gespostet“ bekommen, erkenne ich nicht als Native Advertising an.

    Antworten
  3. Ivana Walden
    Ivana Walden

    Ich danke euch für die rege Diskussion auf Facebook und nun auch hier! Schön, dass ich das Thema anstoßen konnte.
    Wie auf FB bereits angemerkt, verstehe ich meine Beiträge als „lautes Denken“, ich bin keine Expertin in Native Advertising, aber ich finde die Entwicklungen, die aufkommenden Herausforderungen, Fragen und nicht zuletzt Diskussionen sehr spannend – einfach weil sie uns alle, die wir online unterwegs sind, betreffen.

    @Josh: Ich kann und will dir in vielen Punkten zustimmen, SEA und Socials Ads sind auch für mich keine klassischen Vertreter der Native Ads. Ja, sind an ihre Umgebung angepasst, aber das ist Radiowerbung auch. ;) Ich finde deinen Punkt „redaktionelles Medium mit eigenen Inhalten“ sehr wichtig – er ist absolut wesentlich, aber geht viel zu oft einfach unter. Danke, dass du das noch einmal betont hast!

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  4. Johannes Ceh

    Der Coskun und ich fechten das dann live beim NativeAdCamp im März aus…. Thomas Koch und Christian Fill haben sich schon als Ringrichter angeboten… Let the SchlammCatching begin ;) ????

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  5. Ulf Heyden

    Die Herausforderung für Publisher und Vermarkter bleibt es, eine eigene und skalierbare Plattform für die Distribution zu bieten, statt sich in Diskussionen über Begriffsdefinitionen, Kennzeichnung oder Begrifflichkeiten zu vergraben.

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