Die Symbiose von Content und Commerce

Längst überfällig: Die Symbiose von Content und Commerce

Grenzenlos. Weiter Himmel, flirrender Horizont, keine Hürde in Sicht. Alles ist möglich, nichts bleibt mehr verborgen. Man dreht sich einmal um die eigene Achse und ist um tausend Inspirationen und hundert Alternativen reicher. Alles ist bunt und schnell und flimmert. Erreichbar über alle Distanzen hinweg. De facto ist Distanz heute nicht mehr vorhanden.

Wovon ich spreche? Nein, es geht nicht um einen LSD-Trip am Strand von Bora Bora. Die Realität hinter diesem hier von mir gezeichneten Bild ist viel einfacher, viel präsenter.

Es ist das digitale Zeitalter, die Ära des Internets. Die Parolen dieser Epoche sind Content-Marketing und E-Commerce, beides Disziplinen der Online-Welt mit atemberaubenden Wachstumszahlen. Faktisch ist E-Commerce der einzige Markt, der von sich behaupten kann, über eine Billion schwer zu sein. Noch. Denn Content-Marketing, so Vorhersagen, soll bis 2019 selbst ein 3 Billionen schweres Geschütz sein.

Zusammen ist man weniger allein

Content-Marketing und E-Commerce sprießen und gedeihen nebeneinander, berühren sich dabei allerdings kaum. Wie seltsam. Dabei wollen beide die Aufmerksamkeit der Menschen erhaschen, haben das gleiche Publikum und strecken ihre Fühler jeweils in Richtung des anderen Territoriums aus. Doch sich wirklich die Hände zu reichen, das gelingt E-Commerce und Content-Marketing noch nicht. Dabei würde es Funken sprühen, Feuerwerk geben und Halleluja-Gesänge von überallher tönen. Ganz sicher!

Die Verschmelzung von Content und Commerce ist dabei gar kein so neuer Gedanke. Schon 2005 versuchte sich Refinery29, an der Symbiose von redaktionellen Beiträgen und Online-Shop. Dabei prallten nicht nur zwei bisher voneinander getrennte Welten aufeinander. Im Grunde ist es nicht das Zusammenbringen von Editorial und Produkt, was viele Shopbetreiber verzweifeln lässt. Die wahre Herausforderung verbirgt sich in der divergenten Zielsetzung, die beide Konzepte verlangen. Als Publisher musste Refinery29 alles daran setzen, die Zeit, die Leser auf der Seite verbringen, zu verlängern. Gleichzeitig, aus Händlersicht, war dem Shop selbstverständlich viel daran gelegen, die Besucher der Seite von den redaktionellen Inhalten hin zum Shop zu leiten, was allerdings die Publisher-KPI negativ beeinträchtigen könnte. Ein Teufelskreis. „You have to make a decision between ‚do I want readers to spend another two minutes on the site?‘ or ‚do I want them to leave at that very moment and send them down to a checkout page that they leave as quickly as possible?‘ That’s a really difficult decision that you have to make as a business owner“, macht Mitgründer Philippe von Borries das Dilemma deutlich.

Es riecht nach Revolution im E-Commerce

Mittlerweile sind mehr als zehn Jahre vergangen, vieles hat sich bewegt. Sehen wir uns wirklich noch immer mit denselbem Problem konfrontiert? Aus technologischer Sicht ist es mittlerweile durchaus möglich, Content und Commerce zu verbinden, ohne dabei Abstriche in der einen (Leser bleiben auf meiner Content-Seite) oder anderen (Leser verlassen meine Content-Seite zum Shop) Weise machen zu müssen. Und trotzdem: In der Realität fristet Content in der E-Commerce-Welt ein zusätzliches, nicht etwa ein dazugehörendes oder gar inhärentes Dasein.

Dabei forciert die eigentliche Motivation von Content-Marketing geradezu einen Zusammenschluss beider Konzepte, nicht wahr?! Wollen wir Mehrwert für die Menschen schaffen, die unsere Produkte kaufen, warum sollten wir sie dann mit unterschiedlichen Kanälen und Herangehensweisen verwirren? Und laufen wir dabei nicht sogar Gefahr, in eine Art Content-Falle zu geraten, wenn wir unsere Inhalte losgelöst von unseren Produkten offenbaren?

TIPP: Vom 1. bis 3. Juni 2016 fand in Leipzig der deutschlandweit 1. Content-Commerce Summit statt. Unter den Dozenten und Speakern waren Content-Strategy-Superstar Karen McGrane aus den USA sowie unsere Gastautoren Doris Eichmeier und Babak Zand. Als Medienpartner waren wir auf dieser Veranstaltung ebenfalls vertreten. Unsere Eindrücke und Interviews.

Online-Shops müssen sich jetzt neu erfinden

Wer nicht hören will, muss fühlen. Klingt jetzt vielleicht altbacken, de facto aber ist das unsere Markt-Realität. Die Digitalisierung hat einen viel aktiveren Konsumenten hervorgebracht. Und seine Anforderungen sind eindeutig: Der Mehrheit der Menschen ist es schlichtweg egal, wenn es morgen plötzlich viel weniger Marken auf der Welt geben würde. Die überwiegende Mehrheit informiert sich vor einem Kauf online – und das ganz gerne richtig langfristig: Mehr als zweieinhalb Monate kann es dauern, bis eine Vorabinformation in einen Kauf mündet. Dabei bekommt mehr als die Hälfte aller Websites nicht mal 15 Sekunden Aufmerksamkeit. Zwei Drittel der heutigen Millennials erwarten eine nahtlose digitale Erfahrung, wenn es um Marken und Shops geht. Immer und überall. Hierzu findet sich bei eKomi The Feedback Company eine aufschlussreiche Infografik.

Online-Shops müssen sich also neu erfinden, sie müssen der durch die Digitalisierung entfachten Forderung nach einheitlichen Markenerfahrungen, sofortiger Befriedigung von Bedürfnissen, nach einheitlichen Shop-Auftritten, kontextgebundenen Erlebnissen und umfassenden Inhalten nachkommen. Das geht nur durch ein fundamentales Umdenken im Online-Handel und die Integration von Content direkt in den Shop. Strukturell und funktionell.

Wie führt man zusammen, was zusammengehört?

Die Zusammenführung von Content und Commerce ist überfällig, keine Frage. Allerdings wäre es jetzt zu optimistisch und heuchlerisch, wenn ich diese Zusammenführung als Kinderspiel verkaufen wollen würde. Beide Eigenschaften sind mir nicht eigen. Tatsächlich liegt die Schwierigkeit nicht unbedingt auf technischer Seite. Faktisch gibt es bereits sehr gute Lösungen, die Shop-Technologien und Content-Management-Systeme miteinander verbinden. Hierbei gilt es im Grunde lediglich zu entscheiden, von welcher Richtung man sich annähert: Soll das CMS-System in das E-Commerce-System integriert werden oder umgekehrt? Eine weitere Möglichkeit ist es, das Ganze von einer neuen Perspektive aus zu deuten und statt Content-Commerce das Prinzip Shoppable Content vorauszusetzen. Das bedeutet, dass Content von vornherein so konzipiert wird, dass er aus sich heraus konsumierbar ist (auch wenn dieses Wort nicht das eleganteste ist – bei neuen Konzepten fällt es ja bekanntlich häufig schwer, hippe Terminologien zu finden).

Online Magazin von Braun - Content Marketing

Die Einstellung muss überdacht werden

Niemand geht unbelastet, frei und ohne Gepäck eine Verbindung ein, richtig?! Genauso geht es Content-Marketing und E-Commerce, wenn sie sich nun zwar glücklich, aber noch unsicher gegenüberstehen, an den Händen ihrer jeweiligen Marketer. Und hier offenbart sich tatsächlich der komplizierte Part dieses fruchtbaren Zusammenschlusses. Per Definition wollen E-Commerceler verkaufen, Contentler aber wollen Gefühle vermitteln, Beziehungen aufbauen und einen Mehrwert weitergeben. Und jeder glaubt irgendwie, das eine würde das andere verhindern. Und gewissermaßen ist dem auch so: Wenn ein Produkt im Grunde keinen Sinn hat, nutzlos oder einfach schlecht ist, wird sich auf keinen Fall eine wertvolle Beziehung zu einem potenziellen Käufer ergeben. Andersherum kann Content, der mit dem Produkt noch nicht mal am Rande verbunden ist, dieses ganz sicher nicht verkaufen.

Bevor Content und Commerce sich also zusammenschließen, müssen beide sich zuerst einmal kennenlernen. Produktmanagement, Einkauf, Marketing, PR, Content-Team, Sales und alle beteiligten Bereiche eines Unternehmens gehören hierfür an den runden Tisch. In dessen Mitte platzieren sich Bilder und Visionen der jeweiligen Buyer Persona – und dann mal Butter bei die Fische.

Zuerst die Sinnfragen:

  • Wer und warum bin ich („ich“ ist hier das Unternehmen)? Wer eine Stimme haben will, muss auch was zu sagen haben.
  • Welche(n) Bedeutung/Nutzen habe ich bzw. will ich haben? Bin ich realistisch?

Dann die Inhaltsfragen:

  • Was kann unser Produkt eigentlich?
  • Wann wenden Menschen es an?
  • Warum wenden Menschen es an?
  • Was tun sie vor, während und nach der Anwendung?
  • Wie benutzen Menschen unser Produkt?
  • Wo benutzen Menschen unser Produkt?

Die Antworten auf diese Fragen werden eine Menge Ideen für gute Geschichten liefern, in denen sich Produkte nahtlos einfügen. Und sicher gibt es noch mehr zu hinterfragen. Eine kleine Besinnungsrunde kann sicher nicht schaden. Denn kommen wir noch einmal darauf zurück: Die Idee von Content-Marketing ist es ja schlussendlich, das Besondere an einem Produkt und dessen potenzielle Bedeutung für den Menschen, der es benutzt, herauszustellen. Doch da sich ein wesentlicher Bestandteil von Bedeutung immer auch über gegenwärtige Realität definiert und (ver)formt, kommen wir nicht umhin, eines realisieren zu müssen: Wir leben in einer schnellen, in einer rasanten Welt, die grenzenlos miteinander interagiert. Grenzen und Zeit sind zwei Schlagwörter der Digitalisierung, die wir auch im Handel (übrigens nicht nur online, sondern auch offline) nicht ignorieren können. Das bedeutet: Content, der Emotionen weckt und Mehrwert schaffen soll, der sollte doch bitteschön diese Dinge auch instant befriedigen können. „Die Geister die ich rief …“

Wenn ich zum Beispiel in einem Online-Modemagazin einen Artikel über die neuesten Instagram-Streetlooks lese, die momentan von allen gehypt werden, dann provoziert das in mir den Wunsch, diese Looks direkt auszuprobieren. Kauf Dich Glücklich, das Berliner Fashion-Label, bietet genau dieses Feature. Content-Commerce at its best!

Shoppable Content Beispiel

Selbstverständlich haben auch große Brands dieses Prinzip längst adaptiert. So kann man beispielsweise alle Outfits der Protagonisten des neuen Puma-Spots direkt shoppen.

Und die Moral von der Geschicht?

Verschiedene Studien zeigen, dass heute 91 Prozent der kaufkräftigen Menschen interaktiven Content bevorzugen, den sie direkt und bei Bedarf konsumieren können. Moment, das sind doch also sozusagen fast ALLE. Auch wenn Veränderung für viele eine Herausforderung bedeutet, der man sich nicht mal so eben stellt, ist die Notwendigkeit für E-Commerceler unabstreitbar! Denn unsere digitale Realität sieht doch nun einmal so aus, oder nicht?

Content Commerce Prozess Beispiel

Wir werden mit Sicherheit in den nächsten Jahren Zeuge einer tiefgreifenden Veränderung des Konzeptes E-Commerce erleben. Die echte Verschmelzung von Content und Commerce erhöht nachweislich Traffic, Conversions, User-Retention und andere KPIs. Shoppable Magazines (Magazin-Artikel mit integriertem kaufbaren Produkt) haben beispielsweise eine durchschnittliche Klickrate von annähernd 10 Prozent! Kunden verbringen durchschnittlich 60 Prozent mehr Zeit auf dem Shop, wenn dieser hilfreichen Content anzubieten hat. Umso wichtiger wird es für Unternehmen, Marken und Shop-Betreiber sein, diese Bewegung von Anfang an mit offenen Armen zu empfangen und sie mitzugestalten. Es wird wunderbar, interaktiver, spannender. Kurz: Es wird ein Fest!

Was hältst du von der Idee, Content-Marketing und E-Commerce zusammenzubringen? Wird das den Online-Handel weiter ankurbeln?
Längst überfällig: Die Symbiose von Content und Commerce
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Anja Fordon

Anja Fordon

Anja Fordon ist Content-Marketing-Managerin bei der Styla GmbH. Sie entwickelt Content-Marketing-Kampagnen, schreibt Artikel über Digital Storytelling, Social Media und E-Commerce und teilt ihre Expertise auf dem deutschen Styla Blog.

4 Reaktionen zu “Längst überfällig: Die Symbiose von Content und Commerce”

  1. Wolfgang Müller

    Hi Anja,
    danke für den interessanten Beitrag. Ich würde sagen, Du triffst einen wichtigen Punkt. Ich würde sogar sagen: Damit Content Marketing seinen Namen verdient, muss es einem Shop dienen können. Sonst machen wir nur Marketing für Content, aber nicht Marketing für Produkte MIT Content.
    Viele Grüße
    Wolfgang

    Antworten
  2. Anja Fordon
    Anja Fordon

    Hallo Wolfgang,

    vielen Dank! Ich freue mich sehr, dass Du das so siehst. Du bringst es auf den Punkt!

    Viele Grüße,

    Anja

    Antworten
  3. Karin

    Liebe Anja, ein toller Artikel, der mir aus der Seele spricht. Als Texterin und Content-Spezialistin bin ich der Überzeugung, dass guter Content im E-Commerce ein absolutes Muss ist – allerdings sehen das tatsächlich noch nicht so viele so. Aber ich denke, dass es hier immer mehr Aufmerksamkeit geben wird.

    LG, Karin

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  4. Sigrid Jo Gruner

    Hallo, sehr interessant! Ich frage mich seit Jahren, warum Online Shops meist darauf verzichten, die Besucher und potenziellen Käufer über Klasse-Content zu locken und zu binden. Ein PDF-Download zu diesem Thema kann auf meiner Website http://www.missword.de/kompetenzen-webcontent heruntergeladen werden: http://www.missword.de/wp-content/uploads/2015/06/Download-Tante-Emma-3.0.pdf. Es gibt gute Beispiele von erfolgreicher Integration, z.B. Content in Form eines Magazins, das den Online-Shop begleitet (www.kochform.de/magazin) oder durch integrierte Begleittexte, die in die Produktpräsentation eingestreut werden.

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