Haltung: Warum Verbraucher flunkern und was Unternehmen tun können

Haltung: Warum Verbraucher flunkern und was Unternehmen tun können

In unserer bewegenden Zeit wird heftig diskutiert: über Migrationspolitik, den Klimawandel, Altersarmut und zahlreiche andere gesellschaftliche Themen. Dabei fordern Politiker, Journalisten und Bürger mehr „Haltung“. Doch welche Haltung ist überhaupt gemeint und brauchen auch Unternehmen sowie Konsumenten eine?

Antworten darauf sind alles andere als einfach zu finden, denn moralische Überzeugungen allein bestimmen unser Handeln nicht, wie die Wissenschaft inzwischen weiß. So verhalten sich Verbraucher gern anders, als sie es in Umfragen angeben. Dahinter steckt keine böse Absicht, sondern die Tatsache, dass wir Kaufentscheidungen anhand vieler verschiedener Faktoren treffen.

Zugleich ringen kleine wie auch große Unternehmen mit dem Thema: Sollen sie nun Haltung zeigen und wenn ja, wie umfangreich und auch auf der politischen Ebene? Tatsächlich tragen alle Wirtschaftsakteure eine Verantwortung und müssen aufrichtig miteinander kommunizieren. Wie das gelingt, verrate ich in diesem Artikel.

Was ist eine Haltung?

Eine treffende Definition des Begriffs habe ich in der Zeitschrift Hohe Luft in Ausgabe 3 / 2017 gefunden, auf die mich unser ehemaliger Chefredakteur Andreas Quinkert damals aufmerksam gemacht hat:

Die Haltung eines Menschen zeigt sich dort, wo sie sich bewähren muss. Ob jemand wirklich eine Haltung hat, erkennt man daran, dass er sie auch gegen Widerstände beibehält.

Dabei unterscheiden die Autoren des Magazins zwischen Haltung und Einstellung.

Eine Einstellung ist ein situatives Verhaltensmuster: So kann der Fremdenfeindliche tolerant gegenüber Gleichgesinnten sein, nicht aber gegenüber Menschen, die in sein Feindbild fallen. Im Sinne einer Einstellung kann auch der Zocker an der Börse sorgsam mit seinem eigenen Geld umgehen, während er ohne mit der Wimper zu zucken mit der Altersvorsorge anderer Menschen spekuliert.

Eine Haltung dagegen zeichnet sich laut Hohe Luft durch folgende fünf Kriterien aus:

  1. Konsequenz – dasselbe Verhalten zeigt sich in ähnlichen Situationen.
  2. Diese Konsequenz wird anders als beim Opportunismus auch unter widrigen Umständen beibehalten.
  3. Haltung ist vernünftig und ehrlich, nicht menschenfeindlich oder dogmatisch.
  4. Eine Haltung darf nicht starr sein und muss äußeren Impulsen gegenüber offen bleiben.
  5. Haltung entsteht durch die immer wiederkehrende Bereitschaft zur Selbstreflexion.

Doch brauchen Unternehmen grundsätzlich eine Haltung?

Verbraucher wünschen sich Zurückhaltung

Beim Thema Haltung wünschen sich die Verbraucher mehrheitlich vor allem eines: dass Unternehmen sich politisch zurückhalten. Das ergibt eine aktuelle Umfrage.

Studienergebnis: Knapp 60 Prozent der Verbraucher möchten nicht, dass Unternehmen eine politische Haltung einnehmen

Die Grafik zeigt: Rund 60 Prozent der Befragten wollen Neutralität. Wo die Gefahr bei einer politischen Positionierung für Unternehmen liegt, bringt Susanne Marell, Geschäftsführerin der Kommunikationsagentur JP│KOM in ihrem Kommentar zur Studie auf den Punkt:

Folgen Unternehmen diesem Wunsch [nach Haltung], dann setzen sie sich allerdings auch dem Risiko aus, dass eine durchaus relevante Menge von Menschen ihre Produkte boykottiert.

Haltung hat eben auch ihren Preis. Und warum sollten Unternehmen diesen überhaupt zahlen? Sangen denn nicht Die Prinzen schon 1995, dass du ein Schwein in dieser Welt sein musst?

Historische Wunden als Ursache für Haltungsschäden

Ein Jahr vor dem Erscheinen des Prinzen-Hits Schweine schrieb der Journalist Ulrich Wickert das Buch Der Ehrliche ist der Dumme: über den Verlust der Werte. Ich erinnere mich daran deshalb so genau, weil ich damals sieben Jahre alt war und den Titel des Buches so merkwürdig fand. Ehrlichkeit und Dummheit passten für mich in meiner kindlichen Naivität nicht zusammen.

Damals wurde das Buch ein Verkaufsschlager. Kein Wunder: Nach der Wende hatten die Ostdeutschen Erfahrungen mit einem neuen Wirtschaftssystem gemacht. Und es waren nicht nur gute Erfahrungen, die sich im Zuge der sogenannten Vereinigungskriminalität in das kollektive Gedächtnis einbrannten.

Der Zusammenbruch der DDR und ihrer Strukturen hatte ein politisches und wirtschaftliches Vakuum hervorgebracht, das redliche Geschäftsleute, aber auch Glücksritter aus beiden ehemaligen Teilstaaten auf den Plan rief. Es war eine Zeit, in der das Thema Haltung für viele Wirtschaftsakteure keine Rolle spielte. Oder wie Wolfgang Kartte, damals Chef des Bundeskartellamtes, das Verhalten westdeutscher Unternehmen kommentierte:

Natürlich sitzen die wie die Falken auf den Mauerzinnen, um sich auf die Beute zu stürzen. Marktwirtschaft erst einmal in Gang zu bringen heißt aber auch, dass man die Beutejäger ein bisschen gewähren lässt.

Heute, nach einer Phase der staatlichen Konsolidierung und im Zuge der Vernetzung, ist die Bereitschaft in der Bevölkerung gesunken, Beutejäger gewähren zu lassen. Mauscheleien und Klüngeleien lassen sich schwerer abwickeln, wenn Enthüllungsjournalisten wie Julian Assange, aber auch die Bürger selbst leichter recherchieren und kommunizieren können.

Doch viele Menschen sind nach wie vor verbittert, weil sie die Überzeugung verinnerlicht haben, dass der Ehrliche, derjenige mit Haltung also, der Dumme ist. Aber vielleicht war ich im Alter von sieben Jahren ja gar nicht so naiv, vielleicht gibt es daraus einen Ausweg. Denn Wickert schreibt auch:

Die Einsicht muss wieder wachsen, dass Freiheit auch Verzicht bedeutet, dass es neben Selbstentfaltung und Individualismus auch Aufgaben gibt, dass jeder einzelne Verantwortung übernehmen muß – und zwar freiwillig.

Diese Eigenverantwortung betrifft Unternehmen wie Verbraucher gleichermaßen. Nur warum funktioniert Wickerts Appell auch nach 23 Jahren eher schlecht als recht? Weil Forderungen allein nicht genügen.

Die Forderung nach Haltung reicht nicht

Bereits im Mittelalter haben sich Kaufleute der Frömmigkeit verschrieben, zumindes in Lippenbekenntnissen. Oberstes Gebot war es, ein gottgefälliges Leben zu führen und damit alle unethischen Praktiken wie Betrug, Schacherei oder die sündhafte Anhäufung von Reichtum zu unterlassen.

Inzwischen wissen Historiker, dass die Realität eine andere war. Trotz drakonischer Strafen trieben Betrüger, Diebe und Wucherer ihr Unwesen, es fehlte schlichtweg an effektiven Strafverfolgungsbehörden.

Auch heute noch zeigt sich, dass einige Unternehmen und Politiker Werte kommunizieren, an die sie sich selbst nicht halten: Spendenaffären, Panama Papers und andere Skandale zeigen das eindrücklich. Wie aber kann es zu solch moralischen Entgleisungen kommen, wo der einzelne Mensch doch ein Gewissen hat?

Es war noch nie so leicht, sich aus der Affäre zu ziehen

Die Komplexität unseres heutigen Wirtschaftssystems bietet ethische Schlupflöcher und Grauzonen. So können sich Waffenhersteller einer Debatte entziehen, indem sie sich darauf berufen, dass sie die Waffen lediglich produzieren.

Regierungen wiederum, die Waffen an repressive Staaten verkaufen, zeigen sich über jeden moralischen Zweifel erhaben, wenn sie die Verantwortung auf die Käufer abwälzen. Schließlich sei der andere Staat dafür verantwortlich, was er mit den Waffen anstellt.

Dasselbe Prinzip finden wir in weiteren Branchen. Je mehrgliedriger und vielschichtiger ein Produktions-, Herstellungs- und Verkaufsprozess ist, desto schwieriger ist es, einzelner Akteure moralisch habhaft zu werden. Eine globalisierte Wirtschaft entkoppelt nicht nur Verantwortungen, sie kann diese auch hinter Hochglanz verstecken.

Wer denkt ernsthaft an Coltanminen und Kinderarbeit in China, wenn er das neue Smartphone in der Auslage seines Mobilfunkshops glänzen sieht? Die Entkopplung und das Verstecken dieser Zustände führt dazu, dass wir unseren Konsum emotional nicht mehr mit unethischen Praktiken verknüpfen. Würden wir unser neues Smartphone dagegen ab Werk direkt von einem Schüler abholen, der unter Zwang bis zu 1.200 Kameras am Tag in Smartphones montiert, sähe die Sache anders aus.

Wir können nicht zu allem eine lückenlose Haltung einnehmen

Der Verbraucher ist schlicht und ergreifend überfordert mit der Komplexität einer globalisierten Wirtschaft, selbst wenn er sich eigenständig informiert. So sehr er sich auch darum bemüht, er muss einfach bei dem Versuch scheitern, überall und jederzeit die weiße Weste zu tragen.

Der CO2-Zusatzbeitrag beim Kauf eines Fernbustickets mag mein Gewissen beruhigen. Wenn ich mir aber vor Augen halte, dass der Fahrer des Busses unterbezahlt ist und ich auch nicht weiß, wie und wo die Einzelteile des Fahrzeuges hergestellt wurden, bin ich schon in einem moralischen Zwiespalt. Und vom Flaschenwasser aus dem Bordbistro kann ich auch nicht mit Gewissheit sagen, wie es abgefüllt und transportiert wurde.

Im Umkehrschluss ist diese Überforderung kein Freischein für einen Zynismus, der Haltung als bloßes Buzzword degradiert. Es ist durchaus möglich und sinnvoll, Verantwortung für den eigenen Konsum zu übernehmen.

Dazu ein Beispiel: Die EthikBank verlangt für ihr Girokonto 8,50 € im Monat an Kontoführungsgebühren. Im Wettbewerb um die Kunden hat sie damit gegenüber zahlreichen Mitanbietern, die deutlich weniger oder gar keine Gebühren verlangen, einen erheblichen Nachteil.

Für Kunden ist es ein finanzieller Einschnitt, ein Konto mit diesen Gebühren zu führen. Es müssen daher andere Gründe vorliegen, sich trotzdem für dieses Konto zu entscheiden. Das kann beispielsweise die Haltung sein, dass Banken nicht auf dem Lebensmittelmarkt spekulieren sollten. Dies stimmt dann mit den konsequent vertretenen Werten der EthikBank überein.

Allerdings befinden wir uns in einem Wirtschaftssystem, in dem auch andere, größere Akteure als der einzelne Bürger eine Verantwortung tragen und diese unzureichend wahrnehmen.

Insofern sollten Verbraucher sich nicht mit ihren eigenen Ansprüchen überfordern. Denn auch die aufrichtigste Haltung kann kein ethisch einwandfreies Handeln garantiert. Vielmehr lässt sie sich als Ideal betrachten, als Leuchtstern, an dem sich Unternehmen wie auch einzelne Menschen auf ihrem Weg durchs Leben mit Achtung und Würde orientieren. Einige tun das sogar schon. Oftmals aber nicht aus hehren Motiven heraus. Sondern weil es gut für das eigene Image ist.

Imagepflege als Zwecks ethischen Handelns

In dieser Zeit der ethischen Überforderung ist Haltung ein Label geworden. Eines, das man mit markigen Hashtags tweeten oder auf T-Shirts drucken kann. Dadurch kommt es online wie offline zur Bildung von Fronten: hier die Guten, da die Bösen.

Das passiert politisch, aber auch in der Wirtschaft und privat. Die Botschaften können dabei höchst unterschiedlich sein. Wer durch Selfies und Postings zeigt, dass er ausschließlich vegane Lebensmittel im verpackungsfreien Hofladen um die Ecke einkauft, sendet damit seine Haltung nach draußen.

Warum aber reden Verbraucher online über ihr Konsumverhalten? Sie könnten doch auch einfach so in den Hofladen gehen und dort im Stillen kaufen. Weil es eben nicht nur darum geht, eine Haltung zu haben, sondern vielmehr darum, diese Haltung zu zeigen.

Der Philosoph Robert Pfaller bezeichnet den damit gewonnenen Vorteil in seinem Bestseller Erwachsenensprache als Distinktionskapital:

Darum beginnen die Aspiranten, Distinktionskämpfe zu führen, um lästige Mitstreiter auszuschalten. Politisch korrekter Sprachgebrauch ist – ebenso wie Charity, Ethical Fashion, ökologische Einkaufen und veganes Kochen – vor allem und zuallererst ein Distinktionskapital; eine Waffe, mit deren Hilfe man mehr oder weniger Gleichgestellte zu Ungleichen machen kann.

Indem wir also nach außen hin kommunizieren, uns ausschließlich von Bio-Lebensmittel zu ernähren oder der Umwelt zuliebe stets mit dem Rad statt mit dem Auto durch die Stadt zu fahren, grenzen wir uns automatisch von all denen ab, die sich nicht so verhalten. Wir gerieren uns online wie offline in einem sozialen Kontext als ethisch höherentwickelte Menschen.

Während früher die teure Benzinschleuder als Statussymbol herhielt, sind es heute Trinkflaschen mit eingestanzter Lebensblume oder Stoffbeutel, auf denen einem das Fair-Trade-Logo förmlich entgegenspringt. Heute ist es nicht mehr cool, mit dicken Autos durch die Gegend zu fahren, sondern mit der GoPro vom hohen Ross aus – dem ökologisch einwandfreien E-Bike also – über den auf der Straße vorbeifahrenden Umweltsünder zu vloggen.

Verbraucher behaupten das eine und tun das andere

Dabei sind Verbraucher ganz schöne Heuchler, wie die Attitude-Behavior Gap zeigt: Sie beschreibt die Tatsache, dass Konsumenten bei Umfragen gern angeben, ethisch zu handeln, sich in der Realität aber anders verhalten. So behauptet ein erheblicher Teil von ihnen, regelmäßig Bio-Produkte zu kaufen. Das tatsächliche Kaufverhalten spricht jedoch eine andere Sprache.

Wie groß die Kluft zwischen Attitüde und Verhalten ist, zeigt der Blick auf die Zahlen: Im Ökobarometer 2016 gaben 21 Prozent der Befragten (PDF)  an, aktuell häufig Bio-Produkte zu kaufen. Eine Studie der Dr. Grieger & Cie. Marktforschung kommt zu noch erstaunlicheren Ergebnissen: Demnach kaufen angeblich neun von zehn Befragten Bio-Produkte. Eigenartig, denn eben diese Produkte machten im gleichen Jahr nur 5,2 Prozent Marktanteil des Lebensmittelumsatzes in Deutschland aus. Zwar ist dieser Anteil im Jahr 2017 um 0,5 Prozent gestiegen, doch liegt das immer noch weit hinter den behaupteten Kaufgewohnheiten.

Diese Kluft untersuchte auch die Forschungsplattform Responsible Research und kam bei der Befragung von 1.000 Konsumenten in Großbritannien zu folgenden Erkenntnissen:

Die Erklärung liegt in der weiter oben erwähnten Attitude-Behavior Gap. Verbraucher zeigen sich in Umfragen von ihrer ethischen Schokoladenseite. Die Ursachen dafür sind komplex und werden psychologisch, biologisch und wirtschaftlich untersucht. Dabei spielen für unsere letztendlichen Kaufentscheidungen individuelle Faktoren (Werte, Bedürfnisse, Gewohnheiten), aber auch soziale und situative Einflüsse wie Medienberichte und Preise eine entscheidende Rolle. Und damit eben nicht nur die innere Haltung.

Dazu ein einfaches Beispiel aus der Praxis: Der Teilnehmer einer Umfrage zu Konsumverhalten gibt an, Massentierhaltung und den Konsum von Billigfleisch abzulehnen. Davon kann er im Sinne seiner Haltung durchaus überzeugt sein. Nach dem Ausfüllen der Umfrage ist er hungrig und geht in den nächsten Supermarkt. Dort fällt ihm die Bärchenwurst ins Auge, die er in seiner Kindheit geliebt hat. Ein starkes, wohlig-warmes Gefühl der Nostalgie macht sich in unserem Umfrageteilnehmer breit. Und dann ist die Wurst auch noch preisreduziert!

Eigentlich ist es aus seiner Sicht unmoralisch, sie zu kaufen. Aber sie schmeckt doch so lecker und einmal kann man sich ja auch was gönnen. Und schon wandert die Bärchenwurst über die Kasse. Haltung ist also nur eine Säule unseres Verhaltens. Oder um es mit den Worten des Schrifstellers Montesquieu zu sagen:

Die meisten Dinge, die uns Vergnügen bereiten, sind unvernünftig.

Unternehmen und Verbraucher sollten aber nicht verzagen oder in gegenseitige Anklagen verfallen. Ein ehrlicher, wohlwollender Blick auf Allzumenschliches hilft vielmehr dabei, eine authentische Haltung zu entwickeln und diese in die eigene Kommunikation zu integrieren. Wir sind nicht die hyperrationalen, ethisch aufrichtigen Heiligen, die wir gern wären. Das anzuerkennen führt zu einer ehrlichen Betrachtung des Konsums, die eine wahrhaftige Haltung erst möglich macht.

Denn es ist wie mit allen psychologischen Mechanismen: Sind sie mir bewusst, kann ich mit ihnen umgehen. Verdränge ich aber, dass nicht nur meine Haltung über mein Kaufverhalten entscheidet, sind diese Mechanismen nicht einfach ausgeschaltet. Sie wirken in mir weiter und steuern mich als unbewussten Verbraucher umso stärker durch die Welt des Konsums.

Die Attitude-Behavior Gap anerkennen und nutzen

Auch für Unternehmen bedeutet die Einsicht in die Kluft von behauptetem und ehrlichem Kaufverhalten eine Chance – sie bewahrt vor Enttäuschungen. Wenn Geschäftsführer und Marketer auf dem Schirm haben, dass Umfragen nur ein Teil der Wahrheit sind, zeigen sich die Umsatzzahlen in einem anderen Licht. So muss nicht gleich die komplette Haltung über den Haufen geworfen werden, nur weil die Realität nicht mit dem behaupteten Verhalten seitens der Zielgruppe übereinstimmt.

Stattdessen gilt es, das Phänomen der Attitude-Behavior Gap anzuerkennen und das Marketing entsprechend anzupassen. Wie das gelingt, zeigt das US-Unternehmen Tesla: Anstatt einzig und allein auf den ökologischen Vorteil von Elektroautos zu setzen, begann der Konzern schon frühzeitig mit einem Top-Down-Ansatz. Anstelle also wie andere Automobilhersteller auch mit günstigen Modellen um die Gunst vieler Kunden zu buhlen, setzte Tesla von Anfang an auf Luxuskarossen. Marketing- und Vertriebsprofessor Marcus Hoffmann sagt dazu:

Die Markenpositionierung von Tesla ist einzigartig. Tesla-Kunden begeistern sich für diese Marke, vertrauen ihr und möchten kein Elektroauto einer anderen Marke fahren – denn Tesla ist anders. Tesla hat sich so glaubwürdig wie kein anderer Anbieter gegen die etablierten Autohersteller abgegrenzt. Tesla will aus Überzeugung den Übergang von den Verbrennungsmotoren zur nachhaltigen Energiewirtschaft durch die ausschließliche Vermarktung von Elektroautos beschleunigen.

Tesla hat es geschafft, eine ethische Haltung mit dem zugkräftigen Prinzip der Exklusivität zu vereinen. Das spricht Kunden gleich auf mehreren Ebenen an und erhöht damit die Chance, die Attitude-Behavior Gap zu überwinden, indem auch andere Bedürfnisse als der Wunsch nach ethischem Wirtschaften adressiert werden.

Wie sich Haltung in der Kommunikation umsetzen lässt

Jeder ans Licht der Öffentlichkeit gelangende Wirtschaftsskandal schwächt die Glaubwürdigkeit von Unternehmen. Zugleich sieht der Verbraucher zwar das Brett vor dem Kopf der Vorstände, aber nicht den wortwörtlichen Splitter im eigenen Auge. Das eigene Verhalten also, das mal aus Unwissenheit, mal aus Überforderung und mal aus der Freude am Unvernünftigen die eigenen Werte ins Wanken bringt.

So liegt es in der Entscheidung der Kunden, eine eigene authentische Haltung zu entwickeln, die auf Wickerts erwähnter Verantwortung zur Freiheit basiert. Das ist ein anstrengender weil aktiver Prozess. Aber die Marktmacht der Konsumenten bringt eben auch Pflichten mit sich. Denn die auf einer Haltung basierende Unternehmenskommunikation muss auf bewusste Verbraucher treffen, die ihre Eigenverantwortung auch umsetzen und sich damit nicht nur in Social Media schmücken.

Die große Herausforderung besteht auf Seiten der Unternehmen nun darin, ethische Prinzipien nicht über Bord zu werfen, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Auf der anderen Seite braucht es eine Politik, die Ambitionen in diese Richtung belohnt und Verbraucher, die mutig genug sind, ihr eigenes Konsumverhalten ehrlich und im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten anzupassen.

Auf diese Weise greifen kollektive und individuelle Haltungen ineinander und kreieren eine Wirtschaftswelt, in der die freiwillige Einhaltung von Werten über Egoismen hinaus erstrebenswert wird. Welche Werte dafür von zentraler Bedeutung sind, habe ich in einem anderen Artikel beschrieben. So muss niemand ein Schwein in dieser Welt sein.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Blogparade zum Thema #KommunikationMitHaltung von Meike Leopold. Bis zum 05. November 2018 konnten Artikel eingereicht werden.

Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY

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Benjamin Brückner

Benjamin Brückner

Benjamin Brückner ist Journalist, Blogger und Gründer der Online-Plattform Freelance Start. Nach mehrjährigen Tätigkeiten in Hörfunk- und Fernsehredaktionen veröffentlichte er zwei Bücher und arbeitete unter anderem als Redakteur und Newsletter-Teamleiter bei Zielbar.

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