Zieht authentisches Marketing tatsächlich bei der Generation Y?

Zieht authentisches Marketing tatsächlich bei der Generation Y?

Der Generation Y wird vieles nachgesagt, und nicht alles davon klingt wie eine Liebeserklärung. Die zwischen 1980 und 1999 Geborenen seien verwöhnt, übertrieben anspruchsvoll und fordernd. Es falle ihnen schwer, sich in Hierarchien einzugliedern. Dass es sich dabei um Stereotype handelt, die für die Beschreibung einer ganzen Generation nicht ausreichen, erklärt sich von selbst.

Viel spannender, als mich an derlei Klischees abzuarbeiten, war es für mich als Angehöriger dieser Generation, ein Webprojekt für eine Zielgruppe innerhalb der Gen Y aus der Taufe zu heben. Bereits seit mehreren Monaten arbeite ich intensiv daran und habe mich in diesem Zusammenhang über das ebenso fesselnde wie komplexe Thema Authentisches Marketing informiert, das auch für andere Unternehmer, Marketer und Freelancer von Bedeutung ist. Denn wer die Gen Y und ihre Konsumgewohnheiten ansprechen möchte, wird um diese Form des Marketings nicht herumkommen. Fachleute wie Oliver Marquardt haben die Zeichen der Zeit bereits erkannt. In Hinblick auf die Authentizität existieren nicht nur im Content-Marketing gefährliche Stolperfallen.

Besinnen wir uns zunächst auf den Begriff der Generation Why, dann finden wir die Ursache dieser scheinbaren Symptome in einer Geisteshaltung, die zum authentischen Marketing führt. Denn meine Altersgenossen und ich stellen eine wesentliche Frage, die Marketer nicht außer Acht lassen dürfen: warum?

Warum ist das „Warum“ so wichtig?

Bezüglich Produkten und Dienstleistungen konzentrierte Marketing sich lange Zeit ausschließlich auf die Ebene des Nutzens. Was bringt mir diese oder jene Versicherung? Welche Vorteile hat das Software-Bundle gegenüber dem Paket, das die Konkurrenz viel billiger schnürt?

Doch in den vergangenen Jahren ist in allen erdenklichen Branchen eine weitere Ebene hinzugekommen, welche die Kaufentscheidung wesentlich beeinflusst: Authentizität.

Nehmen wir das Beispiel Ernährung: In wohlhabenden Industrienationen erfüllt Essen nicht mehr nur die vordergründige Funktion, satt zu machen. Die wachsende Sehnsucht nach natürlichen Lebensmitteln im Sinne von Slow Food, Soul Food und regionaler sowie saisonaler Kost nimmt zu.

Nach Ebene 1 täten es auch eine Packung billigster Formfleisch-Mortadella und ein Sack gespritzter Äpfel aus dem Gewächshaus. Ebene 2 aber macht einen Strich durch diese Rechnung.

Was für Ernährung gilt, betrifft auch andere Branchen: Konsumenten kaufen bewusster, der Nutzen allein ist nicht mehr ausschlaggebendes Kriterium. Während das Credo Geiz ist geil in den 90ern noch in die Multimediamärkte lockte, finden wir die Lebensumstände der Näherinnen in Bangladesch oder der chinesischen Arbeiter hinter unseren hochpolierten Tech-Spielereien gar nicht mehr so geil. Die Missstände in Umwelt und Wirtschaft, die wie massiertes Feuer aus allen Informationskanälen auf uns einprasseln, haben die damit heranwachsende Gen Y intensiv geprägt.

Authentisches Marketing: Worauf es ankommt

In einem Spannungsfeld wie diesem stößt das klassische Marketing an seine Grenzen. Wer lügt, beschönigt, kaschiert oder relativiert läuft Gefahr, in einem Shitstorm zu landen. Doch kann authentisches Marketing auch mit einer gehörigen Portion Selbstironie funktionieren, wie die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in ihrem neuen Spot beweisen:

Heute gilt augenscheinlich: Wer in der Lage ist, eine ehrliche Antwort auf die Frage nach dem Warum zu geben, nähert sich dem authentischen Marketing. Der Bauer zum Beispiel, der mit einem Lächeln die sichere Herkunft von Obst, Gemüse, Käse und Fleisch betont. Oder um es mit den Worten des amerikanischen Hochschullehrers, Autors, Journalisten und Unternehmensberaters Simon Sinek zu sagen:

„People don’t buy what you do – they buy why you do it.“

Aber ist das wirklich so? Sineks Credo folgen jedenfalls zahlreiche Unternehmen aus den unterschiedlichsten Bereichen:

Gute Grundlagen für authentisches Marketing – augenscheinlich problemlos wird hier auf die Frage Warum? mit Leitlinien, Prinzipien, Werten und transparenten Wertschöpfungsketten geantwortet.

Die Beziehung von Sender und Empfänger

Authentisches Marketing konzentriert sich laut Sinek also auf people, auf das Subjekt. Im klassischen Kaufprozess jedoch werden Kunden, aber auch Mitarbeiter vielfach als Objekte gesehen. Der Angestellte wird zum Produktionsfaktor, zur bloßen Rechengröße, ebenso wie der umsatzsteigernde Kunde.

Wer aber die Generation Y als stärkste Konsumgruppen für sich gewinnen will, der muss authentisches Marketing betreiben. Das gilt im Übrigen auch für das Recruiting der High Potentials selbst. Also alles eine Frage des Wollens? Mitnichten. Denn in diesem Konzept stecken jede Menge Widersprüche.

Die Verwässerung der Begriffe

Eine Definition von authentischem Marketing ist äußerst heikel, wurden schließlich einige damit in Verbindung stehende Begriffe wie eben auch Authentizität in den vergangenen Jahren arg überstrapaziert. Hinzu mischen sich Buzzwords wie Sinn, Transparenz, Fairness und Nachhaltigkeit.

Authentisches Marketing will wahrhaftige Kommunikation mit dem Subjekt anstoßen. Produkte und Dienstleistungen müssen hierfür aber nicht zwangsläufig nachhaltig und ökologisch produziert werden. Ein Waffenhersteller kann ebenfalls authentisches Marketing betreiben, wenn er die erweiterte Magazingröße oder das verbesserte Visier lobt.

Auch spielen Hypes eine untergeordnete Rolle. Warum Snapchat als Marketing-Kanal benutzen, wenn man die App nicht versteht oder ablehnt? Weshalb Werte nach außen kommunizieren, die im tiefsten Inneren nicht den eigenen Überzeugungen entsprechen?

Pseudo-authentisches Marketing funktioniert nicht

Einige Werbekampagnen versuchen auf der Welle des authentischen Marketings mitzureiten. Auf kurze Sicht mag das sogar funktionieren. Bei vielen Konsumenten geht der Schuss allerdings nach hinten los.

Wollen Konzerne mit einem anderen Image authentisches Marketing betreiben, gehen sie ein hohes Risiko ein, wie auch die Kritik an der aktuellen ALDI-Kampagne „Einfach ist mehr“ zeigt.

Beide Videos erzeugen Unbehagen, irgendetwas stimmt hier nicht. Im ersten wird der moderne Feminismus vorgeschoben, im zweiten wird die monotone Produktauswahl mit unbeschwertem Minimalismus verklärt.

Wer authentisches Marketing ernst nimmt, lässt Trick 17 bleiben und konzentriert sich auf die Menschen, unterstützt positive Entwicklungen, anstatt sie für die eigene Image-Politur zweckentfremdet zu benutzen. Wo Nachhaltigkeit suggeriert wird, aber keine vorhanden ist, nimmt die Vertrauenskultur Schaden.

Der Mensch im Fokus

Authentisches Marketing betrachtet den Kunden als ganzheitlichen Menschen, den das Warum bewegt und der eine umfassende Antwort auf seine Fragen benötigt. Bei meinem oben erwähnten Webprojekt richte ich mich an junge Freelancer der Gen Y und stand bei zahllosen Prozessen immer wieder vor denselben Fragen, die das authentische Marketing betreffen:

Mit der Zeit wurde das Bild meines Wunschkunden und die damit in Verbindung stehenden Antworten immer deutlicher. Und das macht einen wesentlichen Bestandteil authentischen Marketings aus: Klarheit.

Sieben Punkte für authentisches Marketing

  • Klarheit
  • Ehrlichkeit
  • Einfachheit
  • Flexibilität
  • Integrität
  • Individualität
  • Nahbarkeit

Den Aspekt der Klarheit hatte ich bereits angesprochen. Wie verhält es sich mit den anderen Faktoren?

Ehrlichkeit

Pseudo-authentisches Marketing ist leicht zu durchschauen und hat gegensätzliche Effekte. Jegliche Maskierung, Verklärung oder Verwischung wirkt sich negativ auf die Marke aus.

Einfachheit

Authentisches Marketing muss in der Lage sein, angebotene Dienstleistungen und/oder Produkte sowie die Menschen dahinter eindeutig, unmissverständlich und ohne offene Fragen zu kommunizieren.

Flexibilität

Kunden verändern sich, wie alles im Leben – warum sollte das authentische Marketing da eine Ausnahme sein? Es gilt, Kampagnen sehenden Auges und offenen Ohres zu planen und im Zweifelsfalle neu zu strukturieren. Im Vordergrund sollte immer die Frage stehen: Was braucht mein Kunde jetzt?

Integrität

Ethik wird zunehmend bedeutsam im Marketing. Kunden informieren sich genau über Herkunft, Verarbeitung, Herstellung, Logistik und alle übrigen Umstände von Produkten. Wer hier den Vertrauensbonus verspielt, bekommt Schwierigkeiten.

Individualität

Was macht dich besonders? Warum sollte der Kunde mit seinem Problem zu dir kommen? Denn diesen Zweck erfüllen im Kern alle Produkte und Dienstleistungen: Sie lösen Probleme. Zeige, warum du die passende Lösung für die Probleme deiner Kunden hast.

Nahbarkeit

Das kann, muss aber nicht regional gemeint sein. Viele Kunden mögen es, einen „greifbaren“ Ansprechpartner zu haben. Hierbei geht es um Vertrauen, welches durch authentisches Marketing als wesentliches Merkmal herausgestellt werden kann.

Grenzen und Widersprüche authentischen Marketings

Auch beim ehrlich angestrebten authentischen Marketing gilt: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Mögen sich viele Start-ups Nachhaltigkeit, Transparenz usw. auf die Fahne schreiben – das Streben nach Profit ist und bleibt überlebenswichtige Kernmotivation. Nur dass dieses Profitstreben nicht um jeden Preis und auf Kosten der Umwelt erfolgt. So ambitioniert authentische Marketer auch sind, wir bewegen uns nach wie vor im Rahmen einer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft.

Die Generation Y liefert für die Probleme authentischen Marketings keine glasklaren Lösungen, aber bohrende Fragen. Auf die Frage nach dem Warum stehen die Digital Natives im Schulterschluss mit anderen Generationen und somit in der Verantwortung, die Doppelmoral von der iPhone-Nutzung auf der einen und der Empörung über Foxconn-Zustände auf der anderen Seite kritisch zu hinterfragen.

Denn nach wie vor werden Marken als innovativ, hip und ökologisch vergöttert, obwohl sie diese Faktoren augenscheinlich nicht erfüllen. Entsprechende Proteste zeigen, dass Konsumenten diese Kluft wahrnehmen.

Authentische Selbstvermarktung?

Zum konsequenten authentischen Marketing gehört auch, bei Bewerbungsgesprächen damit aufzuhören, die ewiggleichen Floskeln zu verwenden. Nicht nur Konsumenten erwarten Authentizität, auch Unternehmen dürfen sie von ihren künftigen Angestellten verlangen. Identifiziert der Bewerber sich tatsächlich mit den Leitlinien des Unternehmens oder tut er nur so? Ist er wirklich intrinsisch motiviert oder will die Person nur an das begehrte Jahresgehalt kommen? Hat er/sie tatsächlich Erfahrungen in den relevanten Bereichen gesammelt oder wird beschönigt, ausgelassen, relativiert?

Das gilt selbstverständlich auch für Freiberufler. Mag sein, dass Kunden die Persönlichkeit, die Ecken und Kanten eines Dienstleisters schätzen. Gehören zu diesen Ecken und Kanten jedoch Minuspunkte wie Unzuverlässigkeit oder mangelnde Sorgfalt, bewahrt auch das authentischste Marketing nicht vor Gesichtsverlust.

Nur dort authentisch, wo es passt?

Unternehmen und Selbstständige, die intensiv mit Nachhaltigkeit, Authentizität etc. werben, müssen also auch Stellung zur Kritik beziehen. So ist der plötzliche Schwenk eines Discounters, der jahrelang auf Niedriglöhne und Massenproduktion setzte, hin zu humanitärer Verantwortung wenig glaubwürdig, um nicht zu sagen: zynisch.

Wieder bietet sich das Beispiel Ernährung an: Zahlreiche Industrieprodukte genießen ein gesundes Image, werden im Marketing als ökologische und ethische Lösung für viele Probleme der Lebensmittelbranche präsentiert. Nichts davon trifft bei genauerem Hinsehen zu.

Es ist sicherlich keine Geste der Nächstenliebe und des wachsenden ökologischen Bewusstseins, wenn Discounter z. B. vegane Produkte in ihr Sortiment aufnehmen – sie haben ganz einfach das lukrative Geschäft darin erkannt, wollen Zielgruppen wie die zum Teil ernährungsbewusste Gen Y binden.

Doch ist ein Produkt wie Sojamilch entgegen aller Marketingkampagnen weder gesund, noch natürlich. Die Sterneköchin Sarah Wiener wurde für ihre Kritik an hochindustriell verarbeiteter Sojamilch scharf kritisiert. Authentisches Marketing kann aber nur funktionieren, wenn die angebotenen Produkte und Dienstleistungen echt sind – ein Schnitzelimitat aus Seitan fällt nicht darunter.

Es fehlt an Tiefe, romantisierte Sehnsüchte nach mehr Fairness reichen nicht aus. Die Frage nach dem Warum darf nicht am Rand der eigenen Komfortzone im Nichts verpuffen, sondern muss auch die Schattenseiten der Industrie beleuchten. Authentisches Marketing ist also nur ein Baustein, der organisch aus ehrlichen, gut durchdachten Wertschöpfungsketten hervorgeht.

Mehr als ein Trend

Dass der Begriff Authentizität über die Jahre mit einer Flut an Bildern überladen wurde, bedeutet nicht, dass authentisches Marketing nur ein kurz aufflackernder Hype ist, der verlöscht. Kunden sind übersättigt von der klassischen, aggressiven Werbung, bei der sie sich nicht ernst genommen fühlen. Wir erinnern uns: Nur Ebene 1, die Ebene des Nutzens, zu bedienen, genügt nicht mehr.

Authentisches Marketing ist daher eine unternehmerische Antwort auf die Frage nach dem Warum. Und das Bedürfnis nach klaren, ehrlichen Antworten wird in Zeiten enthüllter Unternehmensskandale wachsen. Unternehmen und Marketer tun gut daran, diese Entwicklung nicht zu ignorieren.

So weit müssen wir gar nicht schauen, denn jeder Unternehmer weiß, dass die Dienstleistung nur ein Aspekt des Auftrages ist. Bei einem sehr guten Freelancer stimmt die Chemie, der Kunde fühlt sich gut betreut, da ein zuverlässiger Ansprechpartner zur Verfügung steht. Kompetenz ist wichtig, die gelingende Kundenbeziehung ist aber mindestens genauso bedeutsam.

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Fazit

Dem authentischen Marketing fehlt es noch an klaren Eingrenzungen. Große Unternehmen, aber auch kleinere Gewerbetreibende klaffen in ihren Vorstellungen zum Teil weit auseinander. Wer authentisches Marketing im Kern versteht und konsequent betreibt, zieht ebenso authentische und zufriedene Kunden an. Wer hingegen manipuliert, wird nicht nur das Interesse der Gen Y verlieren, sondern sogar imageschädigende Eindrücke im Social Web riskieren. Und dies auch in den Köpfen der jungen Menschen.

Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY

Was meinst du, ist authentisches Marketing die Antwort auf die (berechtigte) Frage nach dem Warum?
Zieht authentisches Marketing tatsächlich bei der Generation Y?
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Benjamin Brückner

Benjamin Brückner

Benjamin Brückner ist Journalist, Blogger und Gründer der Online-Plattform Freelance Start. Nach mehrjährigen Tätigkeiten in Hörfunk- und Fernsehredaktionen veröffentlichte er zwei Bücher und arbeitete unter anderem als Redakteur und Newsletter-Teamleiter bei Zielbar.

4 Reaktionen zu “Zieht authentisches Marketing tatsächlich bei der Generation Y?”

  1. Oliver Marquardt

    Danke für die Erwähnung! :) Wichtiger und guter Artikel, der weiter damit aufräumt, dass authentisches Marketing ein Werkzeug ist. Nein, es ist eine Geisteshaltung. Dieser Erkenntnis nähert sich der Artikel angenehm an. Auch das „schöngeistige“ Karma der Werte wird hier wohltuend geerdet. Genauso, wie ich gestern vor großem Publikum auf der Interbad in Stuttgart überraschend viel Zustimmung und Begeisterung dazu ernten konnte, dass eine Werteorientierung keineswegs schöngeistige Theorie ist, sondern sich in barer Münze auszahlt. Wenn sie denn kein Werkzeug, sondern ehrliche Intention meines Handelns darstellt.

    Ansonsten hätte der Artikel ruhig noch offensiver die Fehler der arroganten, etablierten Marken auseinandernehmen können. Ich stehe ja mittlerweile total auf Eskalation :D Aber hat auch so Spaß gemacht. Danke.

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    1. Benjamin Brückner
      Benjamin Brückner

      Danke Oliver, sehr gern! Na, dann würde ich sagen: Bühne frei für den nächsten kritischen Artikel. ;)

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  2. Stefan Schütz
    Stefan Schütz

    Hallo Benjamin,

    auch ich möchte mich für die Erwähnung bedanken!

    Schöner Beitrag
    Stefan

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    1. Benjamin Brückner
      Benjamin Brückner

      Hallo Stefan,

      nicht dafür und danke für das Lob.

      LG
      Benjamin

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