Verändern sich im digitalen Wandel die Kernaufgaben der Unternehmenskommunikation …?

Verändern sich im digitalen Wandel die Kernaufgaben der Unternehmenskommunikation …?

Digitalisierung ist seit Jahren eines der Top-Themen auf der Agenda von Entscheiderinnen und Entscheidern in der Unternehmenskommunikation. Aber was meinen wir eigentlich, wenn wir davon sprechen? Und vor allem: Was können wir konkret tun? Zeit für einen pragmatischen Blick auf unser Kerngeschäft: Kommunikation gestalten.

Fetisch Digitalisierung

Angesichts der Häufigkeit und Frequenz, mit der wir den Begriff Digitalisierung verwenden, könnte man ihn leicht für einen Fetisch halten. Zur Erinnerung: Der Duden versteht darunter einen „Gegenstand, dem magische Kräfte zugeschrieben werden“. Das, was für Digitalisierung gilt, trifft im gleichen Maße auf die von ihr abgeleiteten „Zauberlehren“ zu. Besonders beliebt zurzeit: Content- und Inbound-Marketing, (Digital) Storytelling und Native Advertising. Und wie immer, wenn Zauberei im Spiel ist, gibt es einige, die behaupten, genau verstanden zu haben, wie die magischen Kräfte zu bändigen und einzusetzen seien.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich finde die Debatten, die wir entlang dieser Schlagworte führen, klasse. Bei den allermeisten Kolleginnen und Kollegen spüre ich die Begeisterung für die neuen digitalen Möglichkeiten und das ehrliche Streben nach Qualität. Aber es gibt – mindestens – zwei Dinge, die ich vermisse. Erstens: Vor lauter Digitalisierung kommt es mir vor, als vernachlässigten wir zu häufig den Kern unserer Arbeit – nämlich Kommunikation und damit Beziehungen zu gestalten. Und zweitens: Bei vielen von großen Unternehmen generalstabsmäßig umgesetzten Projekten schauen wir fasziniert auf das Gesamtbild, während insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen und ihre Beraterinnen und Berater gar nicht mehr genau erkennen, wie sie noch in dieses Bild passen.

Deshalb, und auch auf die Gefahr hin, dass es altmodisch klingt, lasst uns mal ohne das D-Wort über Unternehmenskommunikation sprechen. Los geht’s.

Einladung zu einem Gedankenexperiment

Ich möchte dich zu einem Gedankenexperiment einladen. Stell dir vor, du kommst morgens ins Unternehmen oder in die Agentur, und alle Kanäle und Medien, die du bislang – auch für einen Kunden – genutzt hast, sind weg. Ok, nicht alle. E-Mail, Telefon, Hauspost, schwarze Bretter etc. gibt es noch. Aber Newsletter, Kundenmagazin, Website, Intranet, Prospekte mitsamt der Verteiler sind nicht mehr da. Mehr noch: Niemand außer dir kann sich daran erinnern, dass sie mal da waren, geschweige denn, wie ihr sie hergestellt habt. Und jetzt? Was machst du? Wo fängst du an? (Ja, ein erster Kaffee ist erlaubt. Und du darfst dir auch kurz die Zeit nehmen, den Artikel erstmal nicht weiterzulesen, sondern aufzuschreiben, was du tun würdest – und es dann später in den Kommentaren veröffentlichen).

Neuanfang
„Es ist nicht zu früh, es ist nicht zu spät.
Ein guter Plan ist mehr als eine Idee.
Werfe nicht mehr alles in einen Topf.
Veränderung braucht ein klaren Kopf.“
(Clueso „Neuanfang“)

Wieder da? Prima.

Nun ist Clueso zwar kein Kommunikationsberater. Sein Text bietet uns aber einen schönen Leitfaden, wenn wir darüber nachdenken, wie wir den Neuanfang gestalten. Was ich daran interessant finde, ist, dass es keine Standardlösung gibt. Die Antworten, die wir finden, dürften damit so individuell sein wie die Anforderungen des Unternehmens oder der Organisation, für die du arbeitest. Dennoch vermute ich, dass es ein gewisses Muster geben könnte. Ich beispielsweise würde – nach einer schnellen ersten Information an die wichtigsten internen Stakeholder – damit beginnen, mit einem Team, in dem alle Abteilungen mit Kommunikationsbedarf vertreten sind, an einem Plan zu arbeiten, was wir nun tun wollen.

Einfache Fragen stellen – und beantworten

Erste Regel für die Arbeit dieses Teams: „Es ist nicht zu früh, es ist nicht zu spät.“ Das bedeutet: keine Panik! Wir können alles machen, müssen uns aber entscheiden, womit wir anfangen und was wir – zunächst – nicht tun. Gerade im Zusammenhang mit den Möglichkeiten, die wir dank der digitalen Kanäle und Werkzeuge haben, ist diese Regel hilfreich.

Zwar ist es sehr inspirierend, wie manche Unternehmen die neuen Möglichkeiten nutzen. Es gibt aber keinen Grund, in Torschlusspanik zu verfallen. Ein erfolgreicher Auftritt im Social Web etwa ist häufig die Folge unternehmerischer Stärke und nicht umgekehrt. Die Kernaufgabe der Unternehmenskommunikation ist es daher, zunächst die zentralen Fragen zu klären. Diese sind unter anderem: Welche Ziele haben wir, wen wollen wir womit erreichen, was interessiert unsere Stakeholder – extern wie intern – wirklich und vor allem: Was ist eigentlich die kommunikative Herausforderung, vor der wir stehen? So einfach diese Fragen klingen – mit ihnen beginnt die Strategieentwicklung. Oder anders gesagt: Wer sie nicht stellt und beantwortet, hat keine gute Grundlage, um zu kommunizieren.

Kommunikative Herausforderungen identifizieren

Zweite Regel: „Ein guter Plan ist mehr als eine Idee.“ Ideen sind klasse. Wir brauchen viele davon. Vor allem aber brauchen wir – siehe Strategie – eine Idee davon, worin die kommunikativen Herausforderungen liegen und wie wir als Kommunikatoren sie lösen wollen. Ich wäre beispielsweise sehr überrascht, wenn wir bei unserem Neuanfangsszenario auf die Idee kämen, alle unsere Kunden anzuschreiben, um sie darüber zu informieren, dass wir ihnen derzeit – leider, leider – keine Marketingmaterialien zuschicken können. Das mag in der momentanen Situation zwar unsere Sorge sein. Unseren Kunden wäre das aber vermutlich egal. Auch für unsere Kolleginnen und Kollegen wäre es nicht wichtig, in welchem Kanal sie Informationen bekommen, solange sie sie bekommen.

Aber wie finden wir heraus, wo unsere kommunikativen Herausforderungen liegen? Ein möglicher Weg: Wir sprechen mit den Kollegen, die regelmäßig Kundenkontakt haben – Vertrieb, Produktmanagement, Service – darüber, was die Kunden bewegt. Und wir analysieren, worüber in der Gesellschaft insgesamt, in unserer Branche und in unserem Unternehmen gesprochen wird. Auf diesem Weg sollte es uns sehr schnell gelingen herauszufinden, ob wir mehr Aufmerksamkeit für unsere Leistungen brauchen, ein Reputationsproblem haben, weil wir nicht schnell genug liefern oder Wettbewerber uns mit einer besseren Technologie oder aggressiven Preisen Marktanteile abnehmen. In gleicher Weise sollten wir in unser Unternehmen hineinhören. Das Wissen, das wir so gewinnen, hilft uns dabei, einen guten Plan zu entwickeln. Entscheidend dafür, dass dieser gelingt, also ob wir mit unserer Kommunikation erfolgreich sind, ist, was wir als Unternehmen dazu beitragen können, die Gespräche innerhalb und außerhalb des Unternehmens zu bereichern.

Teamplay fördern

Die dritte Regel lautet: „Wirf nicht mehr alles in einen Topf.“ Insbesondere in der Diskussion um Content-Marketing kann man leicht den Eindruck gewinnen, alles sei Content-Marketing. Schon 2008 formulierte Seth Godin vom Content Marketing Institute die These „[Content Marketing] is all the marketing that’s left“. Ich bin da skeptisch, denn es gibt zahlreiche Unternehmen, die auch ohne Content-Marketing erfolgreich sind. Etwas Bescheidenheit kann also nicht schaden.

Losgelöst von Definitionsfragen und Verteilungskämpfen – der Neuanfang bietet uns die Chancen, darüber nachzudenken, wer sich worum kümmert und wie es uns gelingt, alle Kompetenzen optimal zu nutzen. Genau hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied zwischen Unternehmens- und Marketingkommunikation: Während die Marketingkommunikation – zu Recht – ihren Fokus fast ausschließlich auf den Kunden legt, muss die Unternehmenskommunikation die Interessen aller Stakeholder im Blick haben. Das ist ihr Alleinstellungsmerkmal, und nicht die Frage, ob sie besser Content-Marketing machen kann als die Kollegen aus der Marketingkommunikation. Dennoch ist klar, dass es derzeit gerade in diesem Bereich Konflikte um Budgets und Einfluss gibt. Meine Hypothese: Durchsetzen werden sich diejenigen, die dafür sorgen, dass ihre Mitspieler und damit das Unternehmen insgesamt erfolgreich sind.

Erklären, vermitteln, befähigen

Damit das gelingt, braucht es – wenig überraschend – überzeugende Führung, denn als vierte Regel gilt: „Veränderung braucht einen klaren Kopf.“ Womit wir wieder beim Anfang unseres Gedankenexperiments wären. Wenn du angesichts der Vorstellung, dass man dir deine Kanäle wegnimmt, in Panik gerätst, nutze die Chance, die dir der Neuanfang bietet, um kurz Abstand zu nehmen.

Ein Trick, den ich gerne anwende, ist, mir das Unternehmen als eine Art Community vorzustellen, die sich gleichermaßen von außen nach innen wie von innen nach außen bildet. Das Spannende daran: Rein theoretisch funktioniert das auch ohne mich. Dank der digitalen Kanäle kann jeder mit jedem kommunizieren. Aber wie wir aus der Praxis – und nicht nur aus den sozialen Netzwerken – wissen, sind dabei Missverständnisse quasi vorprogrammiert. Eine der wesentlichen Aufgaben der Unternehmenskommunikation liegt also darin, diese Missverständnisse zu minimieren. Allerdings immer weniger dadurch, dass sie vorgibt und kontrolliert, was Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagen, sondern vor allem, indem sie Veränderungen erklärt, Entscheidungen vermittelt und Menschen befähigt, damit umzugehen.

Und was ist jetzt mit Digitalisierung?

Die Frage, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf deine Arbeit hat, kannst du am besten selbst beantworten. Ich wage zu behaupten, dass die meisten Aufgaben im Kern unverändert geblieben sind. Es geht weiterhin darum, durch Kommunikation die Beziehungen zu den für dein Unternehmen wichtigen Stakeholdern zu gestalten. Eine Besonderheit für die Unternehmenskommunikation liegt für mich darin, dass sie Veränderungen erklären muss, während sie sie selbst gerade erlebt. Damit geht es ihr nicht anders als anderen Disziplinen oder Abteilungen im Unternehmen. Aber ich bin überzeugt, dass sie eine einzigartige Chance hat, diese Veränderungen zu gestalten. Grund dafür ist – siehe oben – , dass sie schon immer die unterschiedlichen Perspektiven aller Stakeholder im Blick hatte.

Die digitalen Werkzeuge bieten uns die Möglichkeit, besser als jemals zuvor, diese Perspektiven einzunehmen, wahrzunehmen, was über uns gesprochen wird, und die Beziehungen zu einem teilweise sehr aktiven Publikum aufzubauen und zu pflegen. Eine der wesentlichen Veränderungen, die ich dabei sehe, betrifft die Rolle der Kommunikatorinnen und Kommunikatoren. Vom Sprachrohr entwickeln sie sich immer mehr zu Vernetzern und Begleitern, die andere befähigen, mit den Veränderungen umzugehen und die Möglichkeiten der Kommunikation über digitale (und auch analoge) Medien zu nutzen. Und zwar gleichermaßen in großen wie in kleinen Unternehmen.

TIPP: Inwiefern der digitale Transformationsprozess alles in allem eine unternehmenskulturelle Herausforderung darstellt, hat unsere Gastautorin Anne M. Schüller erst kürzlich in ihrem Beitrag „Digitale Transformation: Woran sie wirklich scheitert und was sich dagegen tun lässt“ beschrieben.

Zum Abschluss bleibt noch eine Frage: Brauchen wir dazu den kompletten Neuanfang? Ich glaube nicht. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie wir unsere Prioritäten setzen würden, wenn wir die Chance hätten – und das dann in der laufenden Arbeit umzusetzen. Also: Was macht ihr ab morgen anders?

Verändern sich im digitalen Wandel die Kernaufgaben der Unternehmenskommunikation …?
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Sascha Stoltenow

Sascha Stoltenow

Sascha Stoltenow ist Kommunikationsberater bei SCRIPT Communications in Frankfurt. Dort entwickelt er Konzepte und Content-Strategien für Unternehmens- und Marketingkommunikation, vor allem für Industrieunternehmen. Auf seinem Bendler-Blog schreibt der ehemalige Fallschirmjägeroffizier seit 2007 über Sicherheitspolitik und Militär. Er lehrt Content-Strategie an der FH Joanneum in Graz und ist einer der Macher des Content Strategy Camps.

3 Reaktionen zu “Verändern sich im digitalen Wandel die Kernaufgaben der Unternehmenskommunikation …?”

  1. Martin

    Hallo Sascha,
    „Und jetzt? Was machst du? Wo fängst du an?“ – Wenn nichts mehr da wäre, würde ich als erstes einen Blog aufsetzen und (fleißig) Artikel schreiben. Die üblichen Artikelideen (Einblick in die eigene Arbeit, Fachartikel, Mehrwert für die pot. Kundschaft usw.) regelmäßig umsetzen. So können Kunden einen Einblick bekommen, Transparenz, Authentizität, Kompetenzen vermitteln und die SEO freut sich auch.
    Manche nennen es wohl „Inbound-Marketing“.
    Ich denke, dass wäre für mein Gebiet sehr passend… oder?

    Gruss
    Martin

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  2. Sascha Stoltenow
    Sascha Stoltenow

    Hallo Martin,

    danke sehr für Deine Antwort. Das heißt also, Du würdest das Webdesign Journal wiederauferstehen lassen? Wenn das bereits heute eine wesentliche Quelle für Dein Neugeschäft ist, klingt das nach einer guten Entscheidung. Die Frage für Dich wäre dann: Was würdest Du anders machen. Genau diese Frage kann bzw. sollte sich auch jeder stellen, der vor einem Relaunch steht. Damit kommen wir genau an den Punkt, den ich für so wichtig halte – macht Euch Gedanken darüber, was Eurem Publikum wirklich wichtig ist. Ob das nun Inbound Marketing heißt oder anders, ist dann zweitrangig. Hauptsache es wirkt.

    Antworten
    1. Martin

      Nein, es war auf die „hahnsinn“-Seite, bzw. meine Selbständigkeit als Webdesigner bezogen. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich den Blog auf dieser Seite (hahnsinn) auch mehr pflegen. Als Akquise- und Vermarktungstool, aber auch als „Aufklärungstool“ und „Informationsplattform“ für pot. Kunden wäre/ist das ein tolles Instrument. Denn ich sehe den Bedarf bei meinen Kunden, bzw. die Unwissenheit/Unsicherheit, was und wie man im Web auftritt (von technischen, über konzeptionellen bis zu gestalterischen Fragen).

      Das Webdesign Journal spricht eine ganz andere Zielgruppe an und ist nicht direkt im Zusammenhang mit der Selbständigkeit zu sehen. An dem Journal sehe ich aber wie schnell sich Leser finden, Feedback kommt, wie schnell sich SEO „machen lässt“ – auch mit nur wenigen , aber guten Fachartikeln.
      Es würde sozusagen Pate stehen für einen Blog bzgl. einer „Wiederauferstehung“ der Selbständigkeit…

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